BIS WIR UNSERE TRAEUME VERGRABEN IM KALTEN KALTEN GRUND
nach Dantons Tod von Georg Büchner
Textfassung von Sophia
Inhaltsverzeichnis
1 PROLOG / KNEIPE
California Dreaming
(Kneipenatmosphäre)
GESPRÄCH
- Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt.
- Die Revolution muss aufhören, und die Republik muß anfangen.
- In unsern Staatsgrundsätzen muss das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten.
- Jeder muss sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können.
- Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an.
- Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen.
- Jeder muss in seiner Art genießen können, jedoch so, dass keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören darf.
- Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt.
- Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen.
- Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen Lippen: Ach, die gliederlösende, böse Liebe!
- Wir wollen den Römern nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen.
DANTON (JOSA)
geht
IRGENDWER
Wo willst du denn jetzt hin?
DANTON (JOSA)
Ich kann das nicht mehr hören.
DANTON (INGE)
geht hinterher
Einführung (Jürgen)
- zweite Phase der französischen Revolution 1792-94
- Gegenrevolutionären Terror Guillotine
- Jakobiner Robespierre Danton - Pause bei Erwähnung Robespierre
- Septembermorde Wohlfahrtsausschuss Revolutionstribunal Pause bei Erwähnung St. Just
- Ausschluss Dantons Robespierre Chef St Just rechte Hand
(Jürgen nach hinten)
JAN
"JÜRGEN"
(Jürgen zurück, Stuhl holen)
2 DAS VOLK AUF DER STRASSE
TIL
Also ihr singt immer...
Bella Ciao
3 ROBESPIERRE REDE
ROBESPIERRE
Ich verlange das Wort.
Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine
Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und
Donnerschlägen. Aber, Volk, deine Streiche dürfen deinen eignen Leib
nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst
nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine
Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen; ihre Augen sind
untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern!
Wir werden ein Blutgericht über unsere Feinde halten.
Ich habe es euch schon einmal gesagt: in zwei Abteilungen, wie in zwei
Heerhaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen.
Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur
auf Ausplünderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplünderung
ungestraft zu vollbringen hofften, für welche die Republik eine
Spekulation und die Revolution ein Handwerk war! In Schrecken gesetzt
durch den reißenden Strom der Beispiele, suchen sie ganz leise die
Gerechtigkeit abzukühlen.
Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten!
Nur dem friedlichen Bürger gebührt von Seiten der Gesellschaft Schutz.
Die Unterdrücker der Menschheit bestrafen, ist Gnade; ihnen verzeihen, ist Barbarei.
Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur
auf Ausplünderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplünderung
ungestraft zu vollbringen hofften, für welche die Republik eine
Spekulation und die Revolution ein Handwerk war!
Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten!
Sagt euren Brüdern: das Schwert des Gesetzes roste nicht in den
Händen, denen ihr es anvertraut habt! - Wir werden der Republik ein
großes Beispiel geben.
4 ROBESPIERRE / ST JUST
ST JUST
Jetzt noch mal...
ROBESPIERRE
Wer mir in den Arm fällt wenn ich das Schwert ziehe ist mein Feind. Wer mich daran hindert mich zu verteidigen tötet mich.
ST JUST
Die Revolution ist noch nicht fertig. Wer eine Revolution zur Hälfte vollendet gräbt sich selbst sein Grab.
Das Establishment ist noch nicht tot. Das System ist noch nicht beseitigt. Die Strukturen sind in den Köpfen der Leute. Die Strukturen müssen beseitigt werden. Damit müssen die Träger dieser Strukturen beseitigt werden. Damit müssen die Leute die die diese Träger sind beseitigt werden. Das geht nur mit Gewalt deswegen brauchen wir die Terrorherrschaft. Deswegen brauchen wir die Guillotine.
ROBESPIERRE
Wer mir in den Arm fällt wenn ich das Schwert ziehe ist mein Feind. Wer mich daran hindert mich zu verteidigen tötet mich. Aber es sterben Menschen.
ST JUST
Ja da sterben Menschen. Aber diese Menschen sind die Träger des Systems.
ROBESPIERRE
(Gegenargument)...
ST JUST
Das ist Kollateralschaden. Auch die Nebenfiguren sind Träger des Systems. Ohne die funktioniert es nicht. Es ist wie beim beim Naziregime: Die Frauen haben das System getragen und dadurch sind sie genauso schuldig. Da gab es keine Unschuldigen. Auch die scheinbar Unschuldigen haben das System mitgetragen.
JAN
Aber es hat doch welche gegeben die das gar nicht wussten, Ulla.
ST JUST
Aber selbst die haben das System mitgetragen Ohne die wäre es nicht gegangen.
Damit gibt es bei der herrschenden Klasse keine Unschuldigen. Auch der Fahrer vom Buback, der hat auch das System mitgetragen.
Die der herrschenden Klasse dienen sind keine Unschuldigen.
ROBESPIERRE
Ich habe Blut an den Händen. Ich habe Menschen getötet.
ST JUST
Es wurde kein Unschuldiger getötet.
ROBESPIERRE & ST JUST
Es wurde kein Unschuldiger getötet.
Es wurde kein Unschuldiger getötet.
Es wurde kein Unschuldiger getötet.
Es wurde kein Unschuldiger getötet.
Es wurde kein Unschuldiger getötet.
ST JUST
Ja das kann so bleiben
White Rabbit
5 DANTON / ROBESPIERRE
ROBESPIERRE
Wer mir in den Arm fällt wenn ich das Schwert ziehe ist mein Feind. \\Wer mich daran hindert mich zu verteidigen tötet mich.
DANTON
Wo die Notwehr aufhört fängt der Mord an. Ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.
ROBESPIERRE
Die Revolution ist noch nicht fertig.Wer eine Revolution zur Hälfte vollendet gräbt sich selbst sein Grab. Die Revolution ist noch nicht fertig. Das System ist noch nicht beseitigt. Die Strukturen sind in den Köpfen der Leute. Die Strukturen müssen beseitigt werden. Damit müssen die Träger dieser Strukturen beseitigt werden. Damit müssen die Leute die die diese Träger sind beseitigt werden.
Das Laster muss bestraft werden, die Tugend muss durch den Schrecken herrschen.
DANTON
Ich versteh das Wort Strafe nicht. Du bist erbärmlich rechtschaffen.
Ich verstehe das Wort Strafe nicht. Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte:
du lügst, du lügst!?
ROBESPIERRE
Mein Gewissen ist rein.
DANTON
(Eigener Text)
Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält. Man kann sich wehren aber…. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ich kauf aber nur Biomilch, was ist‘n das für ‘ne Scheiße… Und dann fühlst du dich wirklich besser… das ist mir zu billig. Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Schämst du dich nicht? Das ist eigenes Vergnügen dich besser zu fühlen. Aber wer bist du denn? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor
die Augen. Du bist nicht der König. Und auch
ROBESPIERRE
Du leugnest die Tugend?
DANTON
Und das Laster. Es gibt nur Epikureer.
ROBESPIERRE
e?
DANTON
Verstehste nicht? Genussmenschen. Es gibt nur Genussmenschen. Und zwar sonne und sonne. Der eine genießt auf diese Art und der andere schraubt sich da was anderes auf sein Dings, wo er sich seinen Spaß herholt. Und das ist der Jeder will genießen. Der eine so der andere so. (…) Jeder auf seine Art. Ist doch kein Problem, was soll die Scheiße. Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?
ROBESPIERRE
Das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.
DANTON
Du brauchst doch das Laster. Lass mich doch lasterhaft sein. Damit du auf mich runterschauen kannst Du lebst doch vom Laster. Dein ganzes System baut doch darauf auf. Das Laster ist doch die Basis auf der du dein ganzes System aufbaust. Du darfst es nicht proskribieren, um Himmels willen nicht, das wäre undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. Übrigens, weißt du eigentlich noch worum es uns geht? Unsere Streiche solle doch keine Unschuldigen treffen. Unsere Aktionen sollten der Revolution nützlich sein. Wir kämpfen doch für die Leute und nicht gegen die. Man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen
ST JUST
Hey
ROBESPIERRE
Wer sagt dir denn, dass ein Unschuldiger getroffen worden sei?
ST JUST
Nein das traf die herrschende Klasse. Unsere Bomben treffen keine Unschuldigen.
DANTON
Habt ihr das gehört. Er lässt es nicht. Wir haben hier keine Chance. Boah ey. Eisenhart. Knallhart.
ROBESPIERRE (JAN)
Diese Haltung, mich stehen zu lassen...
... Krieg ich das nicht, zwingst du mich zur Radikalität.
6 GERICHTSSZENE I
(Jürgen nach vorne)
DANTON (JOSA)
Ich trage seit anderthalb Jahren keine Waffe mehr. Seitdem fühle ich mich wohler, seitdem fühle ich mich freier.
Ich habe die Waffe abgelegt, Freunde. Weil ich zu der Erkenntnis gekommen bin,
dass nicht Hass meine Triebfeder ist, sondern dass Liebe meine Triebfeder Ist.
Die Aufforderung, die Knarre wegzuschmeißen empfindet ihr jetzt wahrscheinlich als Verrat. Sie soll aber als Aufforderung verstanden werden, sich einem konstruktiven Konzept zuzuwenden, sich zu öffnen für neue Erkenntnisse und Experimente. Wir müssen wenigstens versuchen Leben zu erhalten, damit wir nicht von den Trümmern des zusammenbrechenden Systems begraben werden. An Vernichtung denkt die andere Seite schon genug.
ST JUST (ULLA)
Der neue Mensch entsteht im Kampf, mit der Waffe in der Hand. Die Geschichte, so wie sie jetzt läuft, hat keinen Sinn. Wir müssen sofort, konkret, mit dem bewaffneten Kampf anfangen.
DANTON (JOSA)
Es ist grade ein Jahr, dass ich das Revolutionstribunal schuf. Ich bitte Gott und Menschen dafür um Verzeihung; ich hoffte die Unschuldigen zu retten, aber dies langsame Morden mit seinen Formalitäten ist noch grässlicher. Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen. Seht da die feigen Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses! Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. Sie wollen die Republik im Blut ersticken.
Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein?
DANTON (INGE / JOSA)
Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken!
(Jürgen greift ein...)
JÜRGEN
Zurück zur Tagesordnung
7 GRÄBER VON GENERATIONEN
ST JUST
Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben,
die das Wort Blut nicht wohl vertragen können.
Einige allgemeine Betrachtungen mögen sie überzeugen, dass wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt.
Also: Da alle unter gleichen Verhältnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder Vorzüge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen. Jedes Glied dieses Satzes hat Menschen getötet.
Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es dann nicht klar, dass zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?
Die Revolution zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Und die Menschheit wird sich aus dem Blutkessel erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen.
Here's to You
JÜRGEN
Die Sitzung ist aufgehoben
(Jürgen und Ulla ab)
(Til mit Gitarre und Uli ab, Tür offen)
The Times They Are A-Changin'
DANTON (JOSA kommt rein)
Ich habe vielen Leuten gesagt, nimm doch die Knarre in die Hand, jahrelang. Die sollen nun -- auch wissen, dass hier ein Abschluss ist; das bin ich denen irgendwo schuldig. Für mich sieht es so aus, dass ich diese Geschichte mit der Liebe nie so richtig versucht habe und die jetzt einfach durchziehe. Erstmal, weil es Spaß macht und weil es dufte ist, weil ich das nach den ganzen heavy Jahren brauche. „Ich stehe immer noch hinter allen Sachen, die ich gemacht habe. Ich verdamme nichts und verurteile auch nichts daran.“ Bei mir persönlich ist hinzu gekommen, dass ich gesehen habe, dass ich eines Tages weiterkämpfen werde, auf einer anderen Ebene, auf einem anderen Gebiet. […] Ich werde irgendwann mal wieder eintreten ins Gefecht, aber auf einem ganz anderen Level.
8 KAFFEE KAFFEE KAFFEE
(Licht an. Rausgehen, auch Musiker)
(Einspielung Gespräch hinter der Bühne)
WACKERNAGELCHOR
Jan: Theeeeee
wie
die
Wirklichkeit
das heißt politisches Theater kann nur als absurdes Theater politischES sein
Ulli: und so absurd wie die politische und
kann es gar nicht absurd genug sein
So lesen und spielen sich Büchners Traumbeschreibungen
HEUTE
Wiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiie
Vorläufer des Surrealismus
Die politischen Dialoge
oft wie
dadistische Performance-Texte
ULLAH
Der letzte Satz ist Scheiiiiiiiße, Auch vom Inhalt her.
9 CAMILLE / LUCILE
(Raus aus der Rolle, über die Zuschauer reden.)
ALLE außer Jürgen
Die Leute sind so blöd...
(Jürgen ruft alle zurück)
JÜRGEN
Ich sage euch, wenn die nicht alles in schlechten Kopien bekommen, in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, dann haben sie weder Augen noch Ohren dafür.
(ja ja ja...)
Ulrich
Wenn aber einer ein Gefühlchen nimmt, und es sich drei Akte
hindurch herumquälen lässt, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich
totschießt - ein Ideal!
(ha ha ha ...)
Inge
Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche
Wirklichkeit: Wie gewöhnlich!
(mmh mmh mmh...)
CAMILLE
Was sagst du dazu, meine geliebte Frau Lucile?
LUCILE
Nichts, mein geliebter Mann Camille, ich seh dich so gern sprechen.
CAMILLE
Hörst mich auch?
LUCILE
Ei freilich / Natürlich / Na klar / Aber ja!
CAMILLE
Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?
LUCILE
Nee, keine Ahnung... wahrhaftig nicht.
TILL
...sexistisch...
JÜRGEN
Büchners reaktionäres Frauenbild – Hure / Engel – kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden; seine künstlerisch vollendete Darstellung freilich drückt doch gerade die Unmöglichkeit, die Perspektivlosigkeit und Unvollständigkeit einer Revolution aus, deren Protagonisten nur Männer waren und deren Errungenschaften nur Männern zugute kamen.
TILL
Aber diese Stelle mach das so exemplarisch. Die würde ich jetzt auch machen. Wenn ich jetzt dieses Stück inszenieren würde würd ich das nicht streichen. Weil es ist ja auch ein Bestandteil dieses Stückes irgendwie. Weil, dann macht das auch nochmal was ganz anderes als dieses ganze philosophische Gelaber. Immer wenn es um Frauen geht ist nämlich kein philosophisches Gelaber.
Ja, weil er da einfach nicht drüber nachgedacht hat der Büchner. So wirkt das auf mich. Über alles andere in diesem Stück hat der so total nachgedacht. Und Frauen findet der irgendwie doof. Das ist doch total interessant. Und das macht schon was aus. Find ich.
INGE
Findest du. Ich sehe das alles ganz anders.
TILL
Ja dann erzähl doch. Dann bin ich jetzt mal gespannt.
INGE
...
(Einspielung Inge Till Dialog...)
JOSA
Das ist so toll, Inge...
INGE
Hast du verstanden...
Wild Thing
10 CAMILLE / DANTON
(alle anderen ins Publikum)
Erläuterung (Jürgen)
(Kampf Jürgen / Inge bis Inge auf Plattform)
CAMILLE (JÜRGEN)
Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!
DANTON
Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und dass Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so daß alles doppelt geschieht das ist sehr traurig.
CAMILLE
Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.
DANTON
Sterbende werden oft kindisch.
CAMILLE
Du stürzt dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißt alle deine Freunde mit dir.
(Jürgen und Inge auf Plattform)
INGE
singen?
JÜRGEN
dann sing doch
By the Rivers of Babylon
JAN
(ruft)
Danton
(Inge und Jürgen ab)
11 VERGESSEN / TODESSEHNSUCHT
(Einspielung)
DANTON
Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner
Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen.
Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Mir gibt das Grab Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Hier aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht.
Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. Eigentlich muss ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: Es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm; sie werden's nicht wagen!
12 ALBTRAUM
ROBESPIERRE
Georg, Georg, erkennst du mich?
Georg, du musst schnell sterben. Keinen langen Todeskampf! Ich bin
empfindlich seit einigen Tagen.
Du hast sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich. Du hast die
Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich
mehr verleugnet, ich oder du? Ich werde alleine zurückbleiben.
Sie gehen alle von mir - es ist alles wüst und leer - ich bin allein.
DANTON
Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall
nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, dass wir uns
die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen?
Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib
so zerteilt ist, dass meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen
der Steine reden?
Das ist seltsam.
Ich möchte nicht mehr denken.
Es gibt Gedanken, für die es keine Ohren geben sollte.
Das ist nicht gut, dass sie bei der Geburt gleich schreien wie Kinder.
Das ist nicht gut.
13 PUBLIKUMSGESPRÄCH
(Jürgen zusammen mit Michael auftreten; Stuhl in Mitte)
Harp D Jürgen
Eve of Destruction
Die Welt im Osten explodiert. Gewalt flammt auf. Waffen werden geladen. Du bist alt genug um zu töten aber nicht um zu wählen. Du glaubst nicht an den Krieg? Was ist das denn ist eine Waffe in deiner Hand. Und selbst im Jordan treiben Leichen.
Aber du sagst mir immer und immer und immer und ímmer wieder, mein Freund, dass du nicht glaubst, dass wir uns am Vorabend der Zerstörung befinden.
Verstehst du nicht, was ich sagen will? Und kannst du nicht die Angst fühlen, die ich heute fühle? Wenn der Knopf gedrückt wird gibt es kein Entkommen mehr. Es wird niemanden zu retten geben wenn die Welt im Grab liegt. Schau dich um. Es sollte dir Angst machen.
Und du sagst mir immer und immer und immer und ímmer wieder, mein Freund, dass du nicht glaubst, dass wir uns am Vorabend der Zerstörung befinden.
Mein Blut kocht, es fühlt sich an als ob es gleich gerinnt. Und ich sitze hier und beobachte nur. Ich kann die Wahrheit nicht verdrehen, sie lässt sich nicht justieren. Diese ganze bescheuerte Welt ist einfach zu frustrierend. Du könntest hier weg, für drei, vier Tage ins Weltall, aber wenn du wiederkommst ist es der gleiche alte Ort.
(... -> RAF? -> Publikumsgespräch -> Alle eigenen Positionen)
14 GERICHTSSZENE II
DANTON (JOSA)
(kommt herein)
Robespierre...
HERMAN (JÜRGEN)
Ihr Name, Bürger.
DANTON
Was liegt mir an euch und eurem Urteil? Meine Wohnung wird bald das Nichts sein; - das Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschütteln.
Meine Stimme, die ich so oft für die Sache des Volkes ertönen ließ,
wird ohne Mühe die Verleumdung zurückweisen. Die Elenden, welche mich
anklagen, mögen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande
bedecken.
HERMAN
Die Kühnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen.
DANTON
Kann ich mich fassen, wenn ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe?
HERMAN
Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten.
DANTON
Sie haben die Hände an mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn
aufrichten und ihnen entgegentreten; ich bin nicht stolz darauf. Das
Schicksal führt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine
Organe.
HERMAN
Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie werden das nächste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe nötig. Die Sitzung ist aufgehoben.
DANTON / JOSA
Ich habe keine Message. Meine Geschichte soll als ein Beitrag von
vielen verstanden werden, als mein Beitrag, so wie ich die Sache jetzt
sehe, aus den Erfahrungen heraus, die ich gemacht habe und wie ich sie
verarbeitet habe. Das hat natürlich keine Allgemeingültigkeit. Andere
sollen verstehen, warum Leute den Weg des bewaffneten Kampfes gehen,
woher es kommt, dass Leute solche Geschichten gemacht haben, auf welchem
Boden so etwas gewachsen ist, welche Gefühle dahinter stehen, welche
Überlegungen, und welche psychischen Voraussetzungen da sind, damit
Angst soweit überwunden wird, dass man solche Sachen machen kann. Im
Grund ist es eine ganz normale Geschichte, die einfach nur dadurch
Bedeutung gewonnen hat, weil sie über den Rahmen, der bis dahin
gesteckt worden ist, hinausgegangen ist, also dass es nicht mehr nur der
verbale Protest war, sondern der ernsthafte Versuch, mit Waffengewalt
eine Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen. Obwohl der Versuch
gescheitert ist, war er richtig und nützlich. Ich sage das nicht, weil
ich schlauer bin als andere oder etwa über Nacht zum Pazifisten
geworden bin. Ich habe lange Zeit geglaubt, dass bewaffneter Widerstand
der beste Weg ist, und ich versuche heute aufzuzeigen und warum ich
mich jetzt für etwas anderes entschieden habe.
(Geht zum Keyboard)
Imagine (JOSA)
15 STERBEN
Harp D Jürgen
Cold Cold Ground
JÜRGEN
Ich lasse alles in einer schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das Regieren.
Wir sollten alle mal die Masken abnehmen, dann sähen wir hier überall den gleichen Schafskopf. Wir alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem. Schlafen, Verdauen, Kinder machen - das treiben alle, alles andere sind nur Variationen davon.
Da braucht man sich nicht voreinander zu schämen. Wir haben uns alle am gleichen Tische krank gegessen und uns ist allen schlecht davon. Warum schneidet ihr tugendhafte und witzige und heroische und geniale Grimassen? Wir kennen uns doch. Spart euch die Mühe!
Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Rosenkränze oder Weinlaub vor die Scham binden oder das hässliche Ding offen tragen und es uns von den Hunden lecken lassen?
Es gibt ein Ohr, für welches der Lärm, der uns betäubt, ein Strom von Harmonien ist.
Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente.
Gute Nacht.
ULLI
Wir bekommen eine schöne Nacht.
TILL
Jawohl, eine schöne Nacht...