von Richard Wilhelm (1924)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Der erste Teil brachte den Text des Kernstücks aus dem Buch der Wandlungen. Dabei wurde das Gewicht darauf gelegt, sozusagen nur die geistige Seite, die Weisheit, die unter den oft wunderlichen Formen verborgen ist, ans Licht zu bringen. Das, was unser Kommentar bietet, ist eine Zusammenfassung dessen, was im Lauf der Jahrhunderte im Anschluß an die Zeichen und Linien von den bedeutendsten Denkern Chinas gedacht und gesagt wurde. Oft aber wird dem Leser der Gedanke aufsteigen: Warum ist das alles so? Warum sind diese oft ganz unerwarteten Bilder mit den Zeichen und Linien verknüpft? Aus welchen Tiefen des Bewußtseins tauchen sie auf? Sind es rein willkürliche Bildungen oder folgen sie bestimmten Gesetzen? Wie kommt es ferner, daß diese Bilder nun gerade mit diesen Gedanken verknüpft sind? Ist es nicht Willkürlichkeit, tiefe philosophische Gedanken zu suchen, wo dem Anschein nach nur groteske Phantasiebilder ihr Spiel treiben? Ruf alle diese Fragen soll der zweite Teil Rntwort geben, soweit es möglich ist. Er soll das Material entfalten, aus dem jene Gedankenwelt hervorgeht, den Körper bieten zu jenem Geist. Und da zeigt es sich, wie ein geheimer Zusammenhang tatsächlich besteht; wie auch scheinbar willkürliche Bilder doch irgendwie eine Unterlage haben in der Struktur der Zeichen, wenn man diese nur tief genug versteht. Die ältesten Kommentare, in denen technische Ableitung und gedankenmäßige Ausführungen in der Regel verknüpft sind, stammen von Kungtse selbst oder mindestens aus seiner Umgebung. Wir haben das, was sie an Gedankengehalt bieten, schon im ersten Teil mitverwendet. Hier werden sie mit dem Text zusammen, ohne den sie nicht verständlich sind, noch einmal gegeben und nach ihrer technischen Seite hin ausgeführt. Diese technische Seite ist zum vollen Verständnis des Buchs unbedingt erforderlich, und kein chinesischer Kommentar läßt sie beiseite. Es schien aber dennoch angezeigt, sie von der geistigen zu trennen, um den europäischen Leser nicht allzu sehr durch Ungewohntes zu verwirren. Daß dabei Wiederholungen nicht zu vermeiden waren, habe ich nicht bedauert. Das Buch der Wandlungen ist ein Werk, das organisch langsam in Jahrtausenden herangereift ist, und das man sinnend und meditierend in sich aufnehmen muß. Und dabei eröffnet gerade die scheinbare Wiederholung immer neue Ausblicke. Was im zweiten Teil geboten wird, ist im wesentlichen das, was unter dem Namen der "zehn Flügel" bekannt ist. Diese zehn Flügel oder Erläuterungen enthalten tatsächlich die älteste Kommentarliteratur über das Buch der Wandlungen.

Der erste dieser Kommentare heißt Tuan Dschuan. Tuan ist eigentlich der Schweinskopf, so wie er bei Opfern dargebracht wurde. Durch Klanggleichheit bekam das Wort ferner den Sinn von Entscheidung". Tuan, Entscheidung", oder Tsl, "Urteil", bzw. Hi Tsi, ""beigefügte Urteile", war der Name, der den Urteilen über die einzelnen Zeichen gegeben wurde. Diese "Urteile" oder "Entscheidungen" werden dem König Wen von Dschou (ca. 1150 v.Chr.) zugeschrieben, und es ist im allgemeinen nicht an dieser Tatsache gezweifelt worden. Zu diesen Entscheidungen gibt nun der Tuan Dschuan oder "Kommentar zu den Entscheidungen" die genauen Erklärungen auf Grund der Struktur und des sonstigen Materials der Zeichen. Dieser Kommentar wird chinesischerseits dem Kungtse zugeschrieben. Er ist durchaus gründliche, wertvolle Arbeit und wirft viel Licht auf die innere Organisation der Zeichen des I Ging. Da notorisch bekannt ist, daß Kungtse sich viel mit dem Buch der Wandlungen beschäftigt hat, und da die Anschauungen dieses Kommentars nirgends den Anschauungen des Kungtse widersprechen, sehe ich keinen Grund, in die Behauptung der Autorschaft Kungtses Zweifel zu setzen. Dieser Kommentar zerfällt entsprechend den beiden Abteilungen des Buchs der Wandlungen in zwei Teile und bildet die beiden ersten Flügel oder Erläuterungen. Wir haben ihn aufgeteilt und den einzelnen Zeichen, zu denen er gehört, jeweils beigegeben[1].

Der dritte und vierte Flügel wird von dem sogenannten Siang Dschuan, Kommentar zu den Bildern, gebildet. Auch dieser Kommentar ist entsprechend dem Text in zwei Hälften geteilt. In seiner heutigen Form besteht er aus den sogenannten "großen Bildern", die sich auf die Bilder der beiden Halbzeichen beziehen und daraus den Sinn des Gesamtzeichens ableiten, um aus dieser Betrachtung wieder Schlüsse für das menschliche Leben zu ziehen.

Dieser Kommentar gehört seinem ganzen Gedankenkreis nach in die Umgebung der "Höheren Bildung" (Da Hüo), also ebenfalls in die nächste Umgebung von Kungtse.

Außer den "Großen Bildern" enthält dieser Kommentar aber auch noch die "Kleinen Bilder", das sind ganz kurze Winke zu den Worten des Herzogs von Dschou zu den einzelnen Linien. Von "Bildern" ist dabei in keiner Weise die Rede. Es muß durch irgendein Mißverständnis bzw. Zufall gekommen sein, daß dieser Kommentar zu dem Text der einzelnen Linien in diesen Kommentar zu den "Bildern" mit hineingekommen ist. Dieser Linienkommentar enthält nur ganz kurze Andeutungen, die meist gereimt sind.

Möglich, daß sie zur Gedächtnishilfe niedergeschriebene Schlagworte einer sonst ausführlicheren Erklärung waren. Daß sie alt sind und aus der konfuzianischen Schule stammen, ist ebenfalls sicher. Wie nahe sie an Kungtse selbst heranreichen, darüber möchte ich kein bestimmtes Urteil abgeben. Auch diese Kommentare wurden aufgeteilt und den ihnen entsprechenden Stellen zugewiesen.

Der fünfte und sechste Flügel wird gebildet von einem Aufsatz, über den manche Unklarheit herrscht: er heißt Hi Ts'i oder Da Dschuan und ist ebenfalls in zwei Hälften geteilt. Die Bezeichnung Da Dschuan findet sich bei Si Ma Tsiän und bedeutet "Großer Kommentar", "Große Abhandlung". über die Bezeichnung Hi Tsi "Beigefügte Urteile" sagt Dschu Hi folgendes:

"Die beigefügten Urteile sind ursprünglich die Urteile, die König Wen und der Herzog von Dschou gemacht und den Zeichen und ihren Linien beigefügt haben, eben der heutige Text des Buches. Der vorliegende Abschnitt ist der Kommentar, in dem Kungtse die beigefügten Urteile erklärt, wobei er eine allgemeine Einführung in den ganzen Text des Gesamtwerks gibt."

Man sieht sofort die Unklarheit der Definition. Wenn die "Beigefügten Urteile" eben die Bemerkungen des Königs Wen und Herzogs Dschou zu den Zeichen und einzelnen Linien sind, so erwartet man von einem "Kommentar zu den beigefügten Urteilen" eben einen Kommentar zu den betreffenden Bemerkungen und keine Abhandlung über das Werk im allgemeinen. Nun findet sich schon ein Kommentar zu den Entscheidungen der Zeichen, d. h. zum Text des Königs Wen. Dagegen fehlt ein ausführlicher Kommentar zu den Bemerkungen zu den einzelnen Linien des Herzogs von Dschou. Was wir haben, sind nur die kurzen Stichworte, die unter dem offenbar falschen Titel "Kleine Bilder" gehen. Wohl aber finden sich Reste eines solchen Kommentars oder vielmehr einer ganzen Anzahl solcher Kommentare. Einige davon - zu den beiden ersten Zeichen - sind in den Wen Yän (Kommentar zu den Textworten) enthalten, worüber weiter unten noch näher gesprochen werden soll. Einige Erklärungen zu einzelnen Linien sind in dem Kommentar zu den beigefügten Urteilen da und dort zerstreut. Es ist höchst wahrscheinlich, daß wir in dem, was heute unter dem Namen Hi Tsi Dschuan geht, zwei ganz verschiedene Dinge beisammen haben: Eine Sammlung von Aufsätzen über das Buch der Wandlungen im allgemeinen, vermutlich das, was Si Ma Tsiän den großen Kommentar, Da Dschuan, nannte, und darin zerstreut und dürftig nach Gesichtspunkten geordnet die Reste eines Kommentars zu den beigefügten Urteilen der einzelnen Striche. Manches weist darauf hin, daß wir in diesem Kommentar auf dieselbe Quelle kommen, wie sie auch in dem einen Kommentar der unter dem Namen Wen Yän (Kommentar zu den Textworten) gehenden Sammlung vorliegt.

Daß die unter dem Namen Hi Ts'i oder Da Dschuan gehenden Abhandlungen nicht von Kungtse niedergeschrieben sind, ist ganz klar. Es werden ja darin häufig Sätze als Aussprüche des Meisters zitiert[2]. Es ist natürlich Traditionsgut der konfuzianischen Schule und zwar aus verschiedenen Zeiten darin enthalten.

Ein sehr wichtiger Abschnitt ist der sogenannte siebente Flügel, genannt Wen Yän (Kommentar zu den Textworten). Es ist der Rest eines Kommentars zum Buch der Wandlungen oder vielmehr einer ganzen Serie solcher Kommentare. Er enthält sehr wertvolles Material aus der konfuzianischen Schule. Leider geht er nicht über das zweite Zeichen, Kun, hinaus.

Zum Zeichen Kiän, das Schöpferische, enthält er im ganzen vier verschiedene Kommentare, die in der Übersetzung (die ebenfalls auf die beiden Zeichen Kiän und Kun verteilt ist) als a, b, c, d bezeichnet sind. Der Kommentar a gehört derselben Schicht an wie die in den Hi Tsi zerstreuten Kommentarreste; sie geben den Text mit angehängter Frage: "Was heißt das?", ähnlich wie das im Kung~Yang~Kommentar zum Tschun Tsiu der Fall ist. Kommentar b und c enthalten kurze Bemerkungen zu den einzelnen Linien im Stil des Kommentars der "Kleinen Bilder". Kommentar d beschäftigt sich wieder mit dem Urteil zum ganzen Zeichen und den einzelnen Strichen, ebenso wie a, nur in freierer Weise. Zum Zeichen Kun ist nur noch ein Kommentar vorhanden, der der Art nach mit Kommentar a verwandt ist, obwohl er eine andere Schicht repräsentiert (der Text wird den Ausführungen des Meisters nachgestellt), die in den Hi Tsi übrigens ebenfalls vorkommt.

Der achte Flügel, Besprechung der Zeichen, Schuo Gua, enthält altes Material zu der Erklärung der acht Urzeichen. Darunter dürfte manches Stück sein, das über Kungtse zeitlich hinaufgeht und seinerseits von ihm bzw. seiner Schule kommentiert ist.

Der neunte Flügel: die Reihenfolge, Anordnung der Zeichen, Sü Gua, enthält eine zum Teil recht schwach motivierte Erklärung, weshalb die Zeichen in ihrer heutigen Reihenfolge stehen, die nur dadurch interessant ist, daß sie zuweilen eigenartige Deutungen der Namen der Zeichen gibt, die sicher auf alter Überlieferung beruhen. Auch dieser Kommentar, der mit Kungtse natürlich nichts zu tun hat, wurde aufgeteilt und den einzelnen Zeichen zugeordnet unter der Überschrift: Reihenfolge.

Der letzte Flügel: Dsa Gua oder vermischte Zeichen endlich ist eine in Versus memoriales gefaßte Definition der einzelnen Zeichen, größtenteils in paarweiser Gegenüberstellung, die übrigens von der Ordnung im jetzigen Buch der Wandlungen sehr wesentlich abweichen. Auch diese Definitionen wurden unter der Überschrift "Vermischte Zeichen" aufgeteilt und den einzelnen Zeichen beigegeben.

Im folgenden werden zunächst die beiden Abschnitte Schuo Gua, Besprechung der Zeichen, und Hi Tsi Dschuan oder Da Dschuan, Kommentar zu den beigefügten Urteilen oder - richtiger - großer Kommentar, in Übersetzung gegeben und dann noch einiges über die Struktur der Zeichen aus verschiedenen Quellen beigebracht, das zum Verständnis des zweiten Teils von Wichtigkeit ist.



Schuo Gua / Besprechung der Zeichen

Kapitel I

§1. Die heiligen Weisen vor alters machten das Buch der Wandlungen also: Um in geheimnisvoller Weise den lichten Göttern zu helfen, erfanden sie das Schafgarbenorakel. Sie teilten dem Himmel die Zahl drei zu und der Erde die Zahl zwei und berechneten danach die weiteren Zahlen.

Sie betrachteten die Veränderungen im Dunkeln und Lichten und stellten danach die Zeichen fest. Sie erzeugten Bewegungen im Festen und Weichen und ließen so die einzelnen Linien entstehen. Sie brachten sich in Übereinstimmung mit SINN und LEBEN und stellten demgemäß die Ordnung des Rechten auf. Indem sie die Ordnung der Außenwelt bis zu Ende durchdachten und das Gesetz des eignen Innern bis zum tiefsten Kern verfolgten, gelangten sie bis zum Verständnis des Schicksals.

Dieser erste Paragraph bezieht sich auf das gesamte Buch der Wandlungen und die ihm zugrunde liegenden Prinzipien. Der ursprüngliche Zweck der Zeichen des Buchs der Wandlungen war die Erfragung des Schicksals. Da jedoch die göttlichen Wesen ihrem Wissen nicht unmittelbar Ausdruck geben, mußte ein Mittel gefunden werden, durch das sie sich vernehmlich machen konnten. Der Medien für die Äußerung der übermenschlichen Intelligenz waren seit alters drei: Menschen, Tiere und Pflanzen, in denen das Leben auf verschiedene Weise pulsiert. Dazu kam als viertes die Benützung des Zufalls, in dem sich gerade bei dem Mangel des unmittelbaren Sinnes ein tieferer Sinn Ausdruck verschaffen konnte. Diese Benützung des Zufalls ergab das Orakel. Das Buch der Wandlungen beruht auf dem Pflanzenorakel, das durch medial veranlagte Menschen gehandhabt wird. Die festgesetzte Sprache für die Kommunikation mit den übermenschlichen Intelligenzen beruhte auf der Zahl und ihrer Symbolik. Die Grundprinzipien der Welt sind Himmel und Erde, Geist und Materie. Die Erde ist das abgeleitete, darum wird ihr die Zahl zwei zugeteilt. Der Himmel ist die letzte Einheit, die aber die Erde in sich befaßt, darum wird ihm die Zahl drei zugeteilt - da die Eins zu abstrakt und unbeweglich ist, weil sie keine Mannigfaltigkeit in sich enthält. Dementsprechend wurden dann weiterhin die ungeraden Zahlen der himmlischen, die geraden Zahlen der irdischen Welt zugeteilt.

Die aus sechs Linien bestehenden Zeichen sind sozusagen Abbildungen von wirklichen Weltzuständen mit ihren Kombinationen der lichten, himmlischen und der dunklen, irdischen Kraft. Innerhalb dieser Zeichen war aber die Möglichkeit der Veränderung und Umgestaltung der einzelnen Linien gegeben, so daß aus jedem Zeichen ein neues entsteht, wie die Zustände der Welt sich fortwährend wandeln. Der Vorgang des Wandels zeigt sich an den bewegten Linien, das Endergebnis im neuentstandenen Zeichen.

Außer dem Zweck des Orakels dient aber das Buch der Wandlungen auch zum intuitiven Verständnis der Weltverhältnisse, zum Eindringen in die letzten Tiefen von Natur und Geist. Die Zeichen geben die Bilder der Zustände und Verhältnisse der Welt im ganzen, die einzelnen Linien behandeln innerhalb dieser Gesamtverhältnisse die wechselnden Einzellagen. Das Buch der Wandlungen befindet sich im Einklang mit dem Sinn und Leben der Welt (Naturgesetz=Dau und Sittengesetz=De). Darum vermag es die Regeln aufzustellen darüber, was für jedermann das Rechte ist. Der letzte Sinn der Welt, das Schicksal, das Sosein der Welt, wie sie nun einmal durch schöpferische Entscheidung (Ming) geworden ist, wird erreicht, indem man in der Welt der äußeren Erfahrung (Natur) und der inneren Erfahrung (Geist) hinabsteigt bis in die letzten Quellen. Beide Wege führen zum selben Ziel. (Vgl. hierzu das erste Kapitel von Laotse.)

§2. Die heiligen Weisen vor alters machten das Buch der Wandlungen also: sie wollten den Ordnungen des inneren Gesetzes und des Schicksals nachgehen. Darum stellten sie den SINN des Himmels fest und nannten ihn: das Dunkle und das Lichte. Sie stellten den SINN der Erde fest und nannten ihn: das Weiche und das Feste. Sie stellten den SINN des Menschen fest und nannten ihn: die Liebe und die Gerechtigkeit. Diese drei Grundkräfte nahmen sie zusammen und verdoppelten sie. Darum bilden im Buch der Wandlungen immer sechs Linien ein Zeichen.

Die Plätze werden eingeteilt in dunkle und lichte, darauf stehen abwechselnd Weiche und Feste. Darum hat das Buch der Wandlungen sechS Plätze, die die Linienfiguren bilden.

Dieser Paragraph handelt von den Elementen der einzelnen Zeichen und ihrem Zusammenhang mit dem Weltverlauf. Wie am Himmel aus Abend und Morgen ein Tag wird durch den Wechsel von Dunkel und Licht (Yin und Yang), so werden abwechselnd die geraden und ungeraden Plätze der einzelnen Zeichen als dunkel und licht bezeichnet. Platz 1, 3, 5 sind lichte Plätze, Platz 2, 4, 6 sind dunkle Plätze. Wie ferner auf der Erde aus Festem und Weichem alle Wesen gebildet sind, so erhalten die einzelnen Linien festen, d.h. ungeteilten, oder weichen, d.h. geteilten, Charakter. Diesen bei- den Grundkräften in Himmel und Erde entsprechen im Menschen die polaren Eigenschaften der Liebe und der Gerechtigkeit, wobei Liebe dem lichten, Gerechtigkeit dem dunklen Prinzip entspricht. Diese menschlichen Eigenschaften finden, da es sich hierbei um etwas Subjektives, nichts Objektives handelt, in den Elementen der Zeichen (Plätzen und Strichen) keinen besonderen Ausdruck. Wohl aber kommt die Dreiheit der Weltprinzipien innerhalb der Gesamtzeichen und ihrer Einteilung zum Ausdruck. Diese drei Prinzipien zerfallen in Subjekt (Mensch), Objekt mit Form (Erde) und Gehalt (Himmel). Der unterste Platz innerhalb der Zeichen ist der Platz der Erde, der mittlere der des Menschen, der oberste der des Himmels. Entsprechend der polaren Zweiheit werden nun die ursprünglich aus drei Strichen bestehenden Zeichen verdoppelt, so daß es zwei Plätze der Erde, des Menschen, des Himmels gibt. Und zwar sind dann jeweils die beiden unteren Plätze die der Erde, Platz drei und vier die des Menschen und die beiden oberen die des Himmels.

Es ist eine vollkommen geschlossene Weltbetrachtung, die hier ihren Ausdruck findet. Sie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der des Werkes ""Maß und Mitte".

Dieses erste Kapitel gehört seinem ganzen Gedankengehalt nach zu der unter dem Namen "beigefügte Urteile" gehenden Sammlung von Essays über den Sinn und die Struktur der Gesamtzeichen. Mit dem folgenden ist kein Zusammenhang da.

Kapitel II

§3. Himmel und Erde bestimmen die Richtung. Berg und See stehen in Verbindung ihrer Kräfte. Donner und Blitz regen einander auf. Wasser und Feuer bekämpfen einander nicht. So werden die acht Zeichen durcheinander gestellt.

Das Vergehende zu zählen beruht auf der Vorwärtsbewegung. Das Kommende zu wissen beruht auf der rückläufigen Bewegung. Darum hat das Buch der Wandlungen rückläufige Zahlen.

Hier werden in einem vermutlich sehr alten Spruch die acht Urzeichen genannt in paarweiser Reihenfolge, die der Überlieferung nach auf Fu Hi zurückgeht, also zur Zeit der Abfassung des Buchs der Wandlungen in der Dschoudynastie schon vorhanden war. Diese Reihenfolge wird die Reihenfolge des früheren Himmels oder vorweltliche Reihenfolge genannt. Die einzelnen Zeichen sind den Zeichen der Windrose folgendermaßen beigeordnet - wobei zu beachten ist, daß im Chinesischen der Süden oben zu stehen pflegt:

Kiän, Himmel, und Kun, Erde, bestimmen die Richtungsachse Nord-Süd. Dann kommt die Beziehung Gen, Berg, und Dui, See. Sie stehen insofern in Verbindung ihrer Kräfte, als der Wind vom Berg nach dem See weht und die Wolken und Dünste vom See nach dem Berg aufsteigen. Dschen, Donner, und Sun, Wind, verstärken einander bei ihrem Hervortreten. Li, Feuer, und Kan, Wasser, stehen in der Welt der Erscheinung in unversöhnlichem Gegensatz. Aber in den vorweltlichen Beziehungen stören ihre Wirkungen einander nicht, sondern halten einander im Gleichgewicht.

Beim Durcheinanderstellen der Zeichen, d. h. wenn sie in Bewegung kommen, ist eine doppelte Bewegung zu konstatieren, die gewöhnliche, rechtläufige, sich im Zeitverlauf summierende und expandierende, durch die das Vergehende bestimmt wird, und eine entgegengesetzte, rückläufige, sich im Zeitverlauf zusammenfaltende und kontrahierende, durch die die Keime der Zukunft sich gestalten. Die Kenntnis dieser Bewegung verleiht das Wissen der Zukunft. Bildlich ausgedrückt: Wenn man versteht, wie der Baum sich im Samenkorn zusammenzieht, so versteht man die künftige Entfaltung des Samenkorns zum Baum.

§4. Der Donner bewirkt die Bewegung, der Wind bewirkt die Auflösung, der Regen bewirkt die Befeuchtung, die Sonne bewirkt die Erwärmung, das Stillehalten bewirkt die Innehaltung, das Heitre bewirkt die Erfreuung, das Schöpferische bewirkt die Beherrschung, das Empfangende bewirkt die Bergung.

Hier werden abermals die durch die acht Urzeichen dargestellten Kräfte in ihrer Wirkung auf die Natur dargestellt. Dabei werden die vier ersten mit ihren Bildern, die vier letzten mit ihren Namen genannt, da nur die vier ersten in ihren Bildern zeitlich wirksame Naturkräfte bezeichnen, während die andern auf Zustände deuten, die im Lauf des Jahres eintreten.

Dabei haben wir eine vorwärtsgehende (aufsteigende) Linie, in der die Kräfte des vergangenen Jahres sich auswirken. - Die Verfolgung dieser Linie führt nach §3 zur Kenntnis der Vergangenheit, die als Ursache in ihren Wirkungen latent gegenwärtig ist. In der zweiten Hälfte, die nicht nach den Bildern (Erscheinungen), sondern nach den Eigenschaften der Zeichen benannt ist, setzt eine rückläufige Bewegung ein (der Sprung von Li, das im Osten steht, zurück zu Gen im Nordwesten). In dieser Linie entwickeln sich die Kräfte des kommenden Jahres. - Die Verfolgung dieser Linie führt zur Kenntnis der Zukunft, die als Wirkung durch ihre Ursachen, bzw. Keime, die sich kontrahierend verdichten, vorbereitet wird.

Die Kräfte wirken sich innerhalb der vorweltlichen Anordnung immer in paarweisen Gegensätzen aus. Der Donner, die elektrische Kraft, weckt die Samen des alten Jahres. Sein Gegenstück, der Wind, löst die Starrheit des winterlichen Eises auf. Der Regen befeuchtet die Samen, so daß sie keimen können, sein Gegenstück, die Sonne, gibt die nötige Wärme dazu. Daher der Spruch: "Wasser und Feuer bekämpfen einander nicht." Nun kommen die rückläufigen Kräfte. Das Stillehalten hemmt die weitere Expansion; die Samenanlage beginnt. Sein Gegenstück, das Heitere, bewirkt die Freuden der Ernte. Dann kommen zum Abschluß die richtunggebenden Kräfte: das Schöpferische, das das große Gesetz des Daseins repräsentiert, und das Empfangende, das das Bergen im Mutterschoß zeigt, in den alles zurückkehrt, nachdem es den Kreislauf des Lebens vollendet.

Wie im ]ahreslauf sind auch im Menschenleben solche aufsteigenden und rückläufigen Kraftlinien vorhanden, aus denen Vergangenheit und Zukunft entnommen werden kann.

§5. Gott tritt hervor im Zeichen des Erregenden, er macht alles völlig im Zeichen des Sanften, er läßt die Geschöpfe einander erblicken im Zeichen des Haftenden (des Lichts), er läßt sie einander dienen im Zeichen des Empfangenden. Er erfreut sie im Zeichen des Heiteren, er kämpft im Zeichen des Schöpferischen, er müht sich im Zeichen des Abgründigen, er vollendet sie im Zeichen des StillehaItens.

Hier ist die Reihenfolge der acht Zeichen nach der Ordnung des Königs Wen gegeben, die die Reihenfolge des späteren Himmels oder innerweltiche Ordnung genannt wird. Die Zeichen sind hier aus ihrer paarweise entgegen gesetzten Ordnung gelöst und in der zeitlichen Reihenfolge ihres Hervortretens in die Erscheinung im Kreislauf des Jahres gezeigt. Dabei ist die Ordnung der Zeichen sehr wesentlich verändert. Himmelsrichtungen und Jahreszeiten sind kombiniert. Die Ordnung stellt sich folgendermaßen dar:

Das Jahr beginnt die Schöpfertätigkeit Gottes zu zeigen in dem Zeichen Dschen, das Erregende, das im Osten steht und den Frühling bedeutet Über die Art, wie diese Wirksamkeit Gottes in der Natur vor sich geht, enthält das Folgende nähere Ausführungen.

Es ist höchst wahrscheinlich, daß der obige Spruch ein Rätselspruch aus alter Zeit ist, der im Folgenden eine Deutung erfahren hat, die wohl auf die Gedankenwelt der Schule des Kungtse hinweist.

Alle Wesen treten hervor im Zeichen des Erregenden. Das Erregende steht im Osten.

Sie werden völlig im Zeichen des Sanften. Das Sanfte steht im Südosten. Völligkeit bedeutet, daß alle Wesen rein und völlig werden.

Das Haftende ist die Helle, in der alle Wesen einander erblicken. Es ist das Zeichen des Südens. Daß die heiligen Weisen mit dem Gesicht nach Süden gewandt waren, wenn sie den Sinn des Weltreichs anhörten, hat die Bedeutung, daß sie sich dem Hellen zuwandten bei ihrem Walten. Offenbar entnahmen sie das diesem Zeichen.

Das Empfangende bedeutet die Erde. Sie sorgt dafür, daß alle Wesen ernährt werden. Darum heißt es: "Er läßt sie einander dienen im Zeichen des Empfangenden."

Das Heitere ist der Mittherbst, der alle Wesen erfreut. Darum heißt es: "Er erfreut sie im Zeichen des Heiteren."

"Er kämpft im Zeichen des Schöpferischen." Das Schöpferische ist das Zeichen des Nordwestens. Es bedeutet, daß hier das Dunkle und das Lichte einander aufregen.

Das Abgründige bedeutet das Wasser. Es ist das Zeichen des genauen Nordens, das Zeichen der Mühe, dem alle Wesen zufallen. Darum heißt es: "Er müht sich im Zeichen des Abgründigen."

Das Stillehalten ist das Zeichen des Nordostens, wo aller Wesen Anfang und Ende vollendet wird. Darum heißt es:

"Er vollendet sie im Zeichen des Sfillehaltens."

Hier wird Jahreslauf und Tageslauf miteinander in Einklang gebracht. Was im vorigen Abschnitt als die Entfaltung des Göttlichen dargestellt war, wird hier nach seiner Erscheinung in der Natur dargestellt. Die Zeichen werden den Jahreszeiten und Himmelsrichtungen zugeteilt, ohne Schematismus, durch gelegentliche Hinweise, aus denen sich das oben gezeichnete Schema ergibt. Der Frühling regt sich, und damit kommt Keimen und Sprossen in die Natur. Das entspricht dem Morgen des Tages. Dieses Erwachen ist dem Zeichen des Erregenden, Dschen, zugeteilt, das als Donner und elektrische Kraft aus der Erde hervorströmt. Dann kommt die linde Luft, die die Pflanzenwelt erneuert und die Erde mit Grün kleidet. Das entspricht dem Zeichen des Sanften, Eindringenden, Sun. Sun hat als Bild sowohl den Wind, der das starre Wintereis auflöst, als auch das Holz, das organisch sich entwickelt. Die Wirkung dieses Zeichens ist, daß die Dinge in ihre Formen sozusagen ein- strömen, sich entwickeln und auswachsen zu dem, was im Keim als Form vorgebildet ist. Darauf kommt die Höhe des Jahres, Mittsommer, bzw. im Tageslauf der Mittag. Hier steht das Zeichen Li, das Haftende, das Licht. Hier erblicken die Wesen einander. Das vegetativ Organische geht über ins seelisch Bewußte. So ist das zugleich ein Bild der menschlichen Gemeinschaft, in der der Herrscher, der Klarheit zugewandt, über den Erdkreis waltet. Es ist zu beachten, daß das Zeichen Li den Platz im Süden einnimmt, den bei der vorweltlichen Ordnung das Zeichen Kiän, das Schöpferische, inne- hatte. Li besteht dem Wesen nach aus dem unteren und dem oberen Strich von Kiän, die den zentralen Strich von Kun in sich aufgenommen haben. Man muß zum vollen Verständnis die innerweltliche Ordnung immer als transparent sich vorstellen, wobei die vorweltliche Ordnung durchschimmert. So kommen wir hier bei dem Zeichen Li gleichzeitig auf den Herrscher Kiän, der mit dem Gesicht nach Süden gewandt regiert. Darauf kommt das Reifen der Feldfrüchte, das Kun, die Erde, das Empfangende, gewährt. Es ist die Zeit der Erntearbeit, des gemeinsamen Dienens. Dann folgt der Mittherbst unter dem Zeichen des Heitern, Dui, das, wie der Abend den Tag, so als Herbst das Jahr seiner Reife und Freude zuführt. Es kommt dann die strenge Zeit, da sich zeigen muß, was geleistet ist. Gericht liegt in der Luft. Von der Erde kehren die Gedanken zurück zum Himmel, dem Schöpferischen, Kiän. Ein Kampf wird gekämpft. Eben während das Schöpferische zur Herrschaft kommt, ist der äußeren Auswirkung nach die dunkle Yinkraft am mächtigsten. Daher regen hier das Dunkle und das Lichte einander auf. Ein Zweifel, wer in diesem Kampf siegen wird, kann nicht bestehen, da es nur die letzte Auswirkung vorher gelegener Ursachen ist, die durch das Schöpferische ihr Gericht findet. Darauf folgt dann der Winter im Zeichen des Abgründigen, Kan. Kan, das im Norden - am Platz des Empfangenden in der vorweltlichen Ordnung - steht, hat als Symbol die Talschlucht. Es kommt die Mühe des Sammelns in die Scheunen. Wie das Wasser keine Mühe scheut, sondern sich immer der tiefsten Stelle zuwendet, weshalb ihm alles zufließt, so ist der Winter im Jahreslauf und die Mitternacht im Tageslauf die Zeit der Sammlung. Geheimnisvoll bedeutend ist das Zeichen Stillehalten, Gen, das als Symbol den Berg hat. Hier knüpft sich in tiefverborgener Stille im Samenkorn das Ende aller Dinge an einen neuen Anfang. Tod und Leben Sterben und Auferstehen sind die Gedanken, die der Übergang vom alten Jahr ins neue auslöst.

So ist der Kreis geschlossen. Wie in der Natur der Tag oder das Jahr, so ist jedes Leben, ja jeder Erlebniszyklus ein Zusammenhang, durch den Altes und Neues verknüpft wird. Von hier aus ist es zu verstehen, wenn in mehreren der 64 Zeichen Südwesten die Arbeitszeit und Gemeinsamkeit bedeutet und Nordwesten die einsame Zeit, da Altes beendet und Neues begonnen wird.

§6. Der Geist ist geheimnisvoll in allen Wesen und wirkt durch sie. Unter allem, was die Dinge bewegt, gibt es nichts Schnelleres als den Donner. Unter allem, was die Dinge beugt, gibt es nichts Schnelleres als den Wind. Unter allem, was die Dinge erwärmt, gibt es nichts Austrocknenderes als das Feuer. Unter allem, was die Dinge erfreut, gibt es nichts Erfreulicheres als den See. Unter allem, was die Dinge feuchtet, gibt es nichts Feuchteres als das Wasser. Unter allem, was die Dinge endet und die Dinge anfängt, gibt es nichts Herrlicheres als das Stillehalten.

Darum: Wasser und Feuer ergänzen einander, Donner und Wind stören einander nicht, Berg und See stehen in Kraftwirkung miteinander: so nur ist Veränderung und Umgestaltung möglich und können alle Dinge vollendet werden.

Hier wird nur die Wirkung der sechs abgeleiteten Urzeichen aufgeführt. Diese Wirkung ist die Wirkung des Geistigen, das nicht ein Ding neben Dingen ist, sondern die Kraft, die durch die verschiedenen Wirkungen von Donner, Wind usw. sich beweist. Die beiden Urzeichen "das Schöpferische" und "das Empfangende" sind nicht genannt, weil sie als Himmel und Erde eben die Ausstrahlungen des Geistes sind, innerhalb derer durch die Wirkung der abgeleiteten Kräfte die sichtbare Welt entsteht und sich wandelt. Jede dieser Kräfte wirkt in einer bestimmten Richtung, aber Bewegung und Wandlung ist nur möglich dadurch, daß die paarweise entgegengesetzten Kräfte, ohne einander aufzuheben, die Kreisbewegung in Schwung setzen, auf der das Leben der Welt beruht.

Kapitel III

Das dritte Kapitel behandelt die acht Zeichen einzeln und gibt die Symbolzusammenhänge, mit denen sie verknüpft sind. Es ist insofern von Wichtigkeit, als aus diesen Symbolzusammenhängen sich vielfach die Textworte zu den einzelnen Strichen erklären lassen. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist technisch wichtig für das Verständnis des Buchs der Wandlungen in Beziehung auf seinen Aufbau.

§7. Die Eigenschaften
Das Schöpferische ist stark, das Empfangende ist hingebend, das Erregende bedeutet Bewegung. Das Sanfte ist eindringend. Das Abgründige ist gefährlich. Das Haftende bedeutet Abhängigkeit. Das Stillehalten bedeutet Stehenbleiben. Das Heitere bedeutet Freude.
§8. Die Symbolischen Tiere
Das Schöpferische wirkt im Pferd, das Empfangende in der Kuh, das Erregende im Drachen, das Sanfte im Hahn, das Abgründige im Schwein, das Haftende im Fasan, das Stillehalten im Hund, das Heitere im Schaf.

Das Schöpferische wird symbolisiert durch das Pferd[3], das rasch und unermüdlich dahinrennt, das Empfangende durch die sanfte Kuh. Das Erregende, dessen Bild der Donner ist, hat den Drachen, der aus der Tiefe sich an den Gewitterhimmel emporschwingt, entsprechend dem einen starken Strich, der unterhalb der beiden weichen Linien nach oben drängt. Das Sanfte, Eindringende hat den Hahn, der als Wächter der Zeit mit seiner Stimme die Stille durchdringt, die sich ausbreitet wie der Wind - das Bild des Sanften. Das Abgründige hat als Bild das Wasser. Das Schwein ist unter den Haustieren das im Schlamm und Wasser lebende. Das Haftende, der Schein, hat in seinem Zeichen Li schon ursprünglich das Bild eines fasanartigen Feuervogels. Das Stillehalten hat den Hund, den treuen Wächter, zum Tier, das Heitere das Schaf, das als Tier des Westens gilt; die beiden oberen, getrennten Striche deuten auf die Hörner des Schafs.

§9. Die Körperteile
Das Schöpferische wirkt im Haupt, das Empfangende in der Bauchhöhle, das Erregende im Fuß, das Sanfte in den Schenkeln, das Abgründige im Ohr, das Haftende (der Schein) im Auge, das Stillehalten in der Hand, das Heitere im Mund.

Das Haupt beherrscht den ganzen Leib. Die Bauchhöhle dient zum Aufbewahren, der Fuß tritt auf und bewegt, die Hand hält fest. Die Schenkel verzweigen sich verhüllt nach unten, der Mund öffnet sich sichtbar nach oben. Das Ohr ist außen hohl, das Auge ist innen hohl: lauter Gegensatzpaare, die den Zeichen entsprechen.

§10. Die Familie der Urzeichen
Das Schöpferische ist der Himmel, darum wird es der Vater genannt. Das Empfangende ist die Erde, darum wird es die Mutter genannt.

Im Zeichen des Erregenden sucht sie zum erstenmal die Kraft des Männlichen und bekommt einen Sohn. Darum heißt das Erregende der älteste Sohn.

Im Zeichen des Sanften sucht das Männliche zum erstenmal die Kraft des Weiblichen und erhält eine Tochter. Darum heißt das Sanfte die älteste Tochter.

Im Abgründigen sucht sie zum zweitenmal und bekommt einen Sohn. Darum heißt das der mittlere Sohn.

Im Haftenden sucht er zum zweitenmal und bekommt eine Tochter. Darum heißt das die mittlere Tochter.

Im Stillehalten sucht sie zum drittenmal und bekommt einen Sohn. Darum heißt dies der jüngste Sohn.

Im Heiteren sucht er zum drittenmal und bekommt eine Tochter. Darum heißt das die dritte Tochter.

Bei den Söhnen stammt der Ableitung nach das Materielle von der Mutter, daher zwei weibliche Strichelemente, während das beherrschende, determinierende Strichelement vom Vater stammt, und umgekehrt. Die Geschlechter schlagen in den Nachkommen jeweils in ihr Gegenteil um. Hier in der innerweltlichen Ordnung ist ein Geschlechterwechsel der abgeleiteten Zeichen gegenüber der vorweltlichen Ordnung zu beobachten. In der vorweltlichen Ordnung ist jeweils der unterste Strich geschlechtbestimmend. Da sind die Söhne: 1. Dschen, das Erregende, 2. Li, das Haftende (die Sonne), 3. Dui, das Heitere. Sie stehen in der Anordnung in der Osthälfte. Die Töchter sind: 1. Sun, das Sanfte, 2. Kan, das Abgründige (der Mond), 3. Gen, das Stillehaltende. Sie stehen in der Westhälfte. Es haben also in der innerweltlichen Ordnung nur Dschen und Sun ihr Geschlecht beibehalten. Die Anordnung zeigt die Söhne links von Kiän, dem Schöpferischen, während Kun die beiden älteren Töchter rechts von sich, die jüngste links zwischen sich und Kiän hat.

§11. Weitere Symbole
Das Schöpferische ist der Himmel, ist rund, ist der Fürst, ist der Vater, ist der Nephrit, ist das Metall, ist die Kälte, ist das Eis, ist das Tiefrote, ist ein gutes Pferd, ist ein altes Pferd, ist ein mageres Pferd, ist ein wildes Pferd, ist das Baumobst.

Die meisten der Symbole ergeben sich von selbst. Der Nephrit ist das Symbol der fleckenlosen Reinheit und der Festigkeit, ebenso das Metall. Kälte und Eis ergeben sich aus der Stellung des Zeichens im Nordwesten. Das Tiefrote ist die gesteigerte Farbe des Lichten (im Text ist schwarzblau die Farbe des Schöpferischen entsprechend der Farbe des Himmels). Die verschiedenen Pferde deuten auf Kraft, Dauer, Festigkeit, Stärke (das "wilde" Pferd ist ein mythisches Tier mit Sägezähnen, das selbst einen Tiger zerbeißen kann). Das Obst ist das Symbol der Dauer im Wechsel.

Zusätze späterer Kommentare: ist gerade, ist der Drache, ist das Obergewand, ist das Wort.

Das Empfangende ist die Erde, ist die Mutter, ist Tuch, ist der Kessel, ist die Sparsamkeit, ist ebenmäßig, ist ein Kalb mit der Kuh, ist ein großer Wagen, ist die Form, ist die Menge, ist der Stamm. Unter den Erdarten ist es die schwarze.

Die ersten Symbole sind ohne weiteres verständlich. Das Tuch ist das Ausgebreitete; die Erde ist mit Leben bedeckt wie mit einem Gewand. Im Kessel kocht man die Dinge, bis sie gar sind; so ist die Erde der große Schmelztiegel des Lebens. Die Sparsamkeit ist eine Grundeigenschaft der Natur. Ebenmäßig bedeutet, daß sie keine Zu- und Abneigung kennt. Kalb mit Kuh ist Symbol der Fruchtbarkeit; der große Wagen ist das Symbol, daß sie alle Wesen trägt. Form und Verzierung ist das Gegenteil des Ge- halts, der im Schöpferischen gegeben ist. Die Menge oder Mehrheit steht im Gegensatz zur Einheit des Schöpferischen. Der Stamm ist das, aus dem die Zweige entspringen, wie alles Leben aus der Erde entspringt. Schwarz ist das gesteigerte Dunkel[4].

Das Erregende ist der Donner, ist der Drache, ist dunkelgelb, ist das Ausbreiten, ist eine große Straße, ist der älteste Sohn, ist entschieden und heftig, ist grüner, junger Bambus, ist Schilf und Rohr. Unter den Pferden bedeutet es die, die gut wiehern können, die mit weißen Hinterbeinen, die galoppierenden, die mit einem Stern auf der Stirn.

Unter den Nutzpflanzen sind es die Hülsenfrüchte. Schließlich ist es das Starke, das üppig Gedeihende.

Dunkelgelb ist die Mischung des dunklen Himmels und der gelben Erde. Das Ausbreiten - vielleicht ist zu lesen: die Blüten - deutet auf das üppige Wachstum im Frühling, das die Erde mit einem Pflanzenkleide überzieht. Die große Straße deutet auf den allgemeinen Weg zum Leben im Frühling. Bambus, Schilf und Rohr sind besonders rasch wachsende Pflanzen. Das Wiehern der Pferde deutet auf ihre Verwandtschaft mit dem Donner. Die weißen Hinterbeine leuchten weithin beim Lauf. Der Galopp ist die bewegteste Gangart. Die Hülsenfrüchte tragen beim Keimen noch die Hülse des Samens an sich.

Das Sanfte ist das Holz, ist der Wind, ist die älteste Tochter, ist die Richtschnur, ist die Arbeit, ist das Weiße, ist das Lange, ist das Hohe, ist Fortschritt und Rückzug, ist das Unentschiedene, ist der Geruch.

Unter den Menschen bedeutet es die Grauhaarigen, bedeutet es die mit breiter Stirn, bedeutet es die mit viel Weiß im Auge, bedeutet es die, die dem Gewinn nahe stehen, so daß sie auf dem Markt das Dreifache bekommen. Schließlich ist es das Zeichen der Heftigkeit.

Die ersten Bedeutungen sind ohne weiteres verständlich. Die Richtschnur ist das Zeichen insofern, als es sich auf die windartige Ausbreitung von Befehlen bezieht. Weiß ist die Farbe des Yinprinzips. Hier ist das Yin im Hnfang an unterster Stelle. Das Holz wächst lang; der Wind kommt in große Höhen hinauf. Fortschritt und Rückzug bezieht sich auf die Unentschiedenheit des Windes; hierher gehört auch die Unentschiedenheit und der Geruch, der durch den Wind vermittelt wird. Die Grauhaarigen, spärlich behaarten Menschen haben viel Weiß im Haar. Die mit viel Weiß im Auge sind hochmütig und heftig. Heftig sind auch die Gewinnsüchtigen, so daß schließlich das Zeichen in sein Gegenteil umschlägt und die Heftigkeit, d.h. Dschen, repräsentiert.

Das Abgründige ist das Wasser, sind Gräben, ist der Hinterhalt, ist das Geradebiegen und Krummbiegen, ist der Bogen und das Rad.

Unter den Menschen bedeutet es die Melancholischen, die im Herzen Kranken, die mit Ohrenschmerzen.

Es ist das Zeichen des Blutes, ist das Rote.

Unter den Pferden bedeutet es die mit schönem Rücken, mit wildem Mut, die den Kopf hängen lassen, die dünne Hufe haben, die Stolpernden.

Unter den Wagen bedeutet es die mit vielen Fehlern.

Es ist das Durchdringen, ist der Mond.

Es bedeutet die Diebe.

Unter den Holzarten bedeutet es die festen mit viel Mark.

Die ersten Eigenschaften ergeben sich wieder von selbst. Das Gerade- und Krummbiegen liegt im schlängelnden Gang des Wassers; von da aus kommt der Gedanke auf Gebogenes, auf Bogen und Rad. Der Trübsinn wird ausgedrückt durch den einen starken Strich, der zwischen zwei schwachen eingeklemmt ist, ebenso die Herzkrankheit. Das Zeichen ist die Mühe und das Ohr. Durch mühsames Anhören gibt es Ohrenschmerzen.

Das Blut ist die Flüssigkeit des Körpers, daher ist seine Farbe rot, wenn auch etwas heller als die von Kiän, dem Schöpferischen. Durch das Durchdringen bekommt es auf den Wagen angewandt das Bild eines zerbrochenen Wagens, der als Lastwagen dient. Das Durchdringen wird nahegelegt durch den durchdringenden Strich in der Mitte, der zwischen die zwei schwachen eingekeilt ist. Als Wasserelement bedeutet es den Mond, der somit als männlich erscheint. Die heimlich Durchdringenden und Fortschleichenden sind die Diebe. Ebenso ist auch die Markigkeit des Holzes etwas, das mit der Eigenschaft des Durchdringens zusammenhängt.

Das Haftende ist das Feuer, ist die Sonne, ist der Blitz, ist die mittlere Tochter.

Es bedeutet Panzer und Helme, es bedeutet Lanzen und Waffen. Unter den Menschen bedeutet es die mit großem Bauch.

Es ist das Zeichen der Trockenheit. Es bedeutet die Schildkröte, die Krabbe, die Schnecke, die Muschel, die Karettschi1dkröte.

Unter den Bäumen bedeutet es die oben am Stamm dürren.

Soweit sich die verschiedenen Symbole nicht von selbst verstehen, werden sie nahe gelegt durch die Bedeutung des Feuers, der Hitze und Trockenheit, ferner durch den Charakter des Zeichens, das außen fest und innen hohl bzw. weich ist; Hierher gehören die Waffen, der dicke Bauch, die Schaltiere, die hohlen Bäume, die oben anfangen dürr zu werden.

Das Stillehalten ist der Berg, ist ein Nebenweg, bedeutet kleine Steine, bedeutet Türen und Öffnungen, bedeutet Früchte und Samen, bedeutet Eunuchen und Wächter, bedeutet die Finger, ist der Hund, ist die Ratte und die Arten der Schwarzschnäbel.

Unter den Bäumen bedeutet es die festen, knotigen.

Ein Nebenweg wird durch die Bergpfade nahegelegt, ebenso die Steine. Das Tor wird durch die Form des Zeichens nahegelegt. Früchte und Samen sind die Vermittlung zwischen Ende und Anfang der Pflanzen. Eunuchen sind Türhüter, Wächter sind Straßenhüter, beide schützen und bewachen. Die Finger sind zum Festhalten da. Der Hund bewacht, die Ratte nagt, die Vögel mit schwarzen Schnäbeln können Dinge leicht festhalten. Ebenso sind die knotigen Stämme diejenigen, die am meisten standhalten.

Das Heitere ist der See, ist die jüngste Tochter, ist eine Zauberin, ist Mund und Zunge, bedeutet Verderben und Zerbrechen, bedeutet Abfallen und Aufspringen.

Unter den Erdarten bedeutet es die harten und salzigen. Es ist die Nebenfrau, ist das Schaf.

Die Zauberin ist eine Frau, die redet. Das Heitere ist oben offen, daher Mund und Zunge. Es steht im Westen und steht daher mit dem Gedanken des Herbstes, des Zerstörens, in Verbindung, daher Verderben und Zerbrechen, Abfallen und Aufspringen der reifen Früchte. Harte, salzige Erde ist die Erde an Orten, wo Seen ausgetrocknet sind. Die Nebenfrau leitet sich ab aus dem Gedanken der jüngsten Tochter. Das Schaf, außen schwach und innen bockig, wird, wie schon bemerkt, durch die Form des Zeichens nahegelegt. Zu beachten ist, daß Schaf und Ziege in China als ungefähr dieselben Tiere, die denselben Namen haben, aufgefaßt werden.



Da Dschuan / die grosse Abhandlung

(auch Hi Tsi Dschuan, Kommentar zu den beigefügten Urteilen, genannt)

1. Abteilung - A. Die Grundlagen

Kapitel I: Die Wandlungen in der Schöpfung und im Buch der Wandlungen

§1. Der Himmel ist hoch, die Erde ist niedrig; damit ist das Schöpferische und das Empfangende bestimmt. Entsprechend diesem Unterschied von Niedrigkeit und Höhe werden vornehme und geringe Plätze festgesetzt.

Bewegung und Ruhe haben ihre bestimmten Gesetze; danach werden feste und weiche Linien unterschieden.

Die Ereignisse folgen je nach ihrer Art bestimmten Richtungen. Die Dinge unterscheiden sich voneinander nach bestimmten Klassen. Auf diese Weise entstehen Heil und Unheil.

Am Himmel bilden sich Erscheinungen, auf Erden bilden sich Gestaltungen; daran offenbart sich Veränderung und Umgestaltung.

Man unterscheidet im Buch der Wandlungen drei Arten des Wandels: das Nichtwandeln, das Umwandeln und das Verwandeln. Das Nichtwandeln ist sozusagen der Hintergrund, auf dem aller Wandel erst möglich ist. Es muß bei allem Wandel ein Vergleichspunkt da sein, auf den der Wandel bezogen wird, sonst ist eine bestimmte Ordnung nicht möglich, sondern alles löst sich auf in chaotische Bewegung. Dieser Beziehungspunkt muß festgesetzt werden, bedarf jederzeit einer Wahl und Entscheidung. Er gibt das Koordinatensystem, in das alles Weitere eingereiht werden kann. Daher steht am Anfang der Welt wie am Anfang des Denkens die Entscheidung, die Festsetzung des Beziehungspunktes. An sich ist jeder Beziehungspunkt möglich, nur ergibt die Erfahrung, daß wir sa.'1on beim Erwachen unseres Bewußtseins in bestimmten übermächtigen Beziehungsgefügen mitten drin stehen. Das Problem ist nun, den eigenen Beziehungspunkt so zu wählen, daß er mit dem Beziehungspunkt des kosmischen Weltgeschehens zusammenfällt. Denn nur dann wird die durch unsere Entscheidung geschaffene Welt vor dem Schicksal bewahrt bleiben, an übermächtigen Beziehungsgefügen, mit denen sie sonst in Konflikt käme, zu zerschellen. Selbstverständlich ist Voraussetzung für diese Entscheidung der Glaube, daß die Welt im letzten Grunde ein Gefüge einheitlicher Beziehungen ist, daß sie ein Kosmos, kein Chaos ist. Dieser Glaube ist die Grundlage der chinesischen Philosophie - wie aller Philosophie überhaupt. Dieser Beziehungspunkt höchster Ordnung ist eben das Nichtwandelnde, das den Beziehungspunkt bildet für alles Wandelnde.

Als Grundlage dieses Beziehungsgefüges dient dem Buch der Wandlungen die Unterscheidung zwischen Himmel und Erde: Der Himmel, die obere, lichte Welt, die zwar unkörperlich, aber doch stark alles Geschehen regelt und bestimmt, und ihm gegenüber die Erde, die untere, dunkle Welt, die körperlich ist und abhängig in ihren Bewegungen von den Erscheinungen des Himmels. Mit diesem Unterschied von oben und unten ist dann irgendwie ein Wertunterschied gesetzt, so daß das eine Prinzip das geehrtere, vornehmere ist, während das andere geringer und niedriger gedacht ist. Diese beiden Grundprinzipien alles Daseins werden dann symbolisiert als die beiden grundlegenden Zeichen des Buchs der Wandlungen, als das Schöpferische und das Empfangende. Man kann dabei nicht im letzten Sinn von einer dualistischen Grundlage reden; denn diese beiden Prinzipien sind ja verbunden durch ein einheitliches Beziehungsverhältnis. Sie bekämpfen einander nicht, sondern ergänzen einander. Eben durch den Höhenunterschied ist dann sozusagen ein Gefälle gesetzt, das Bewegung und lebendige Äußerung der Kraft ermöglicht.

Indem diese Auffassung von hoch und niedrig mit Wertbetonungen verknüpft wird, kommt man auf den Unterschied von vornehm und gering. Das wird dann symbolisch ausgedrückt in den Zeichen des Buchs der Wandlungen, die in hohe und niedrige, vornehme und geringe Plätze eingeteilt werden. Jedes Zeichen besteht aus sechs Plätzen, von denen die ungeraden vornehm, die geraden gering sind.

Mit diesem Unterschied hängt ein anderer zusammen. Im Himmel herrscht fortwährende Bewegung und Veränderung, auf Erden sind feste, scheinbar dauernde Zustände zu beobachten. Genauer betrachtet ist das Schein. Es gibt für die Weltanschauung des Buchs der Wandlungen nichts schlechthin Ruhendes, sondern Ruhe ist nur ein Zwischenzustand der Bewegung, ist sozusagen latente Bewegung. Aber es gibt Punkte, an denen die Bewegung sichtbar wird. Das wird symbolisiert durch feste und weiche Linien, aus denen sich die einzelnen Zeichen aufbauen. Dabei wird als Prinzip der Bewegung das Feste, Starke und als Prinzip der Ruhe das Weiche bezeichnet. Dargestellt wird die feste Linie durch einen ungeteilten Strich, der dem Prinzip des Lichten entspricht, und die weiche Linie durch den geteilten Strich, der dem Prinzip des Dunklen entspricht.

Aus der Kombination des Charakters der Linien (fest und weich) mit dem Charakter der Plätze (vornehm und gering) ergibt sich nun eine groBe Mannigfaltigkeit von möglichen Situationen. Das dient zur Symbolisierung eines dritten Ereigniskomplexes in der Welt. Es gibt Gleichgewichtszustände, in denen eine gewisse Harmonie herrscht, und Zustände gestörten Gleichgewichts, in denen Verwirrung herrscht. Der Grund hiervon liegt darin, daß es ein durchgehendes System der Ordnung in der Welt gibt. Wenn dieser Ordnung entsprechend jedes an dem ihm gebührenden Platz ist, so ist diese Harmonie hergestellt. In der Natur läßt sich eine solche Tendenz der Ordnung feststellen. Die Plätze ziehen sozusagen Verwandtes an, damit Harmonie entstehe. Dieser Tendenz aber wirkt eine andere parallel. Die Dinge werden nicht nur durch die Ordnungstendenz bestimmt, sondern bewegen sich auch noch aus andern, ihnen sozusagen von auBen her mechanisch zugeteilten Kräften. Infolge davon ist nicht unter allen Umständen die Erreichung des Gleichgewichtszustands möglich, sondern es können auch Abweichungen eintreten, die dann Verwirrung und Unordnung mit sich bringen. Auf menschliche Verhältnisse übertragen ist der Zustand der Harmonie Heil und der der Disharmonie Unheil. Diese Geschehenskomplexe können nun zur Darstellung gebracht werden durch die Kombinationen von Linien und Plätzen, wie oben gezeigt.

Ein weiteres Gesetz ist Folgendes: Am Himmel bilden sich Erscheinungen durch den Wandel von Sonne, Mond und Sternen. Diese Erscheinungen folgen bestimmten Gesetzen. Mit den Erscheinungen verbunden bilden sich auf Erden Gestaltungen nach ebensolchen Gesetzen, so daß sich die Gestaltungen auf Erden: Blüte und Frucht, Wachstum und Niedergang, berechnen lassen, wenn man die Gesetze der Zeit kennt. Wenn man die Gesetze des Wandels kennt, so läßt er sich im voraus berechnen, und damit wird das freie Handeln möglich. Veränderungen sind die unmerklichen divergierenden Tendenzen, die sichtbar werden und Umgestaltungen wirken, wenn sie einen gewissen Punkt erreicht haben.

Dies sind die unveränderlichen Gesetze, nach denen für das chinesische Denken sich die Wandlungen vollziehen. Das Buch der Wandlungen hat eben den Zweck, diese Gesetze in den Gesetzen der Veränderung innerhalb der einzelnen Zeichen zur Darstellung zu bringen. Sobald es gelingt, diese Gesetze vollkommen nachzubilden, hat man eine zureichende Übersicht über das Geschehen und vermag Vergangenheit und Zukunft in gleichem Maße zu verstehen und in die Bedingungen des Handelns mit aufzunehmen.

§2. Darum lösen die acht Zeichen einander ab, indem Festes und Weiches einander verdrängt.

Hier wird das Umwandeln erklärt. Das Umwandeln ist ein Kreislauf von Erscheinungen, von denen jede die andere ablöst, um zuletzt wieder bei der ersten einzumünden. Beispiele für solche in sich geschlossenen Komplexe sind der Tageslauf, der Jahreslauf und die Erscheinungen, die sich während dieser Zyklen in der organischen Welt zeigen. Das Umwandeln ist der Wechsel in der organischen Welt, wie das dritte Prinzip, das Verwandeln, den durch Kausalität hervorgerufenen, fortgesetzten Wechsel der Erscheinungen bedeutet.

Festes und Weiches verdrängen einander innerhalb der acht Zeichen. Auf diese Weise gestaltet sich das Feste um, schmilzt gleichsam und wird zum Weichen; das Weiche verändert sich, verflicht sich gleichsam und wird zum Festen. Dadurch wandeln sich die acht Zeichen der Reihe nach ineinander um, und die regelmäßig wechselnden Erscheinungen des Jahres nehmen ihren Lauf. Aber dasselbe ist der Fall mit allen Zyklen; auch das Leben gehört dazu. Was Tag und Nacht, was Sommer und Winter ist, dasselbe ist innerhalb des Lebenszyklus Leben und Tod. Um die Art des Umwandeins und die dadurch entstehende Ablösung der Zeichen zu verstehen, ist hier ihre Reihenfolge nach der vorweltlichen Ordnung noch einmal gegeben. Es gibt zwei Bewegungsrichtungen: die rechtläufige, aufWärtssteigende und die rückläufige, abwärtssteigende. Die erste geht vom Tiefpunkt: Kun, dem Empfangenden, der Erde aus, die zweite vom Höhepunkt: Kiän, dem Schöpferischen, dem Himmel.

 NordNordostOstSüdost SüdSüdwestWestNordwest
I.II.
 KunDschenLiDui KiänSunKanGen
  1a2a3a  1b2b3b
§3. Erregt werden die Dinge durch Donner und Blitz, befruchtet werden sie durch Wind und Regen; indem Sonne und Mond ihren Kreislauf gehen, wird es einmal kalt, einmal heiß.

Hier haben wir die Aufeinanderfolge der Zeichen im Wechsel des Jahres und zwar immer so, daß das eine die Ursache für das nächste ist. Ganz tief im Schoß der Erde regt sich die schaffende Kraft, Dschen, das Erregende, dessen Bild der Donner ist. Indem diese elektrische Kraft hervortritt, bilden sich Erregungszentren, deren Ausgleich im Blitz vor sich geht. Der Blitz ist Li, das Haftende, die Flamme. Daher die Voranstellung des Donners vor den Blitz. Der Donner ist sozusagen dasjenige, was den Blitz hervorruft, nicht nur der Donnerlaut. Nun kommt der Sprung: der Gegensatz des Don- ners setzt ein, der Wind, Sun. Der Wind bewirkt den Regen, Kan. Dann der neue Sprung: die Zeichen Li und Kan, die vorher in ihrer abgeleiteten Form als Blitz und Regen wirkten, treten nun in ihrer ursprünglichen Form auf als Sonne, das Tagesgestirn, und Mond, das Nachtgestirn. Sie bewirken in ihrem Kreislauf Kälte und Hitze. Wenn die Sonne hoch am Himmel Imlminiert, kommt die Hitze, die durch das Südostzeichen Dui, der See, das Heitere, symbolisiert ist. Wenn der Mond hoch am Himmel kulminiert, dann kommt die Kälte, die durch das Nordwestzeichen Gen, der Berg, das Stillehalten, symbolisiert ist.

Die Reihenfolge ist also (vgl. die obige Figur):

1a-2a 1b-2b 
 2a-3a 2b-3b

so daß 2a (Li) und 2b (Kan) zweimal genannt sind; einmal abgeleitet (Blitz, Regen) und einmal ursprünglich (Sonne, Mond).

§4. Der Weg des Schöpferischen wirkt das Männliche.
Der Weg des Empfangenden wirkt das Weibliche.

Hier kommt nun der Anfang der Verwandlung in die Erscheinung in der fortlaufenden, nicht in sich zurückkehrenden Generation der Geschlechter. Es zeigt sich hier, wie sehr sich das Buch der Wandlungen auf das Leben beschränkt. Nach westlichen Auffassungen wäre die Verwandlung der Ort, wo die mechanische Kausalität ihr Recht hat. Für das Buch der Wandlungen ist Verwandlung Generationenfolge, also immer noch etwas Organisches. Das Schöpferische, soweit es als Prinzip in die Erscheinung des Lebens eintritt, verkörpert sich im männlichen Geschlecht, das Empfangende als Prinzip der Erscheinung im weiblichen Geschlecht. So ist das Schöpferische in allen Söhnen (nach der vorweltlichen Ordnung Dschen, Li, Dui) gegenwärtig, das Empfangende in allen Töchtern (nach der vorweltlichen Ordnung Sun, Kan, Gen) und zwar jeweils in der Determinante des Geschlechts, die durch die unterste Linie symbolisiert wird.

§5. Das Schöpferische erkennt die großen Anfänge.
Das Empfangende vollendet die fertigen Dinge.

Es werden nun die Prinzipien des Schöpferischen und Empfangenden weiter verfolgt. Das Schöpferische wirkt die unsichtbaren Keime allen Werdens. Diese Keime sind zunächst rein geistig, daher kann ihnen gegenüber kein Handeln, Behandeln stattfinden. Ihnen gegenüber wirkt die Erkenntnis schöpferisch. Während das Schöpferische im Unsichtbaren wirkt und sein Feld der Geist, die Zeit ist, wirkt das Empfangende im räumlich verteilten Stoff und vollendet die fertigen, räumlichen Dinge. Es ist hier der Vorgang der Zeugung und der Geburt in ihre letzten metaphysischen Tiefen zurückverfolgt[5].

§6. Das Schöpferische erkennt durch das Leichte.
Das Empfangende vermag durch das Einfache.

Das Schöpferische ist seinem Wesen nach die Bewegung. Durch die Bewegung erreicht es die Verbindung des Getrennten ganz leicht. Auf diese Weise bleibt es ohne Mühe, weil es die Bewegungen des Kleinsten leitet. Dadurch, daß die Richtung der Bewegung im kleinsten Keim des Werdens bestimmt wird, entwickelt sich alles Weitere gesetzmäßig von selber ganz leicht. Das Empfangende ist seinem Wesen nach Ruhe. Durch die Ruhe wird das Einfachste im räumlichen Dasein ermöglicht. Diese Einfachheit, die durch reine Rezeptivität entsteht, ist dann der Keim aller räumlichen Mannigfaltigkeit.

§7. Was leicht ist, ist leicht zu erkennen; was einfach ist, ist leicht zu befolgen. Ist man leicht zu erkennen, so gewinnt man Anhänglichkeit. Ist man leicht zu befolgen, so gewinnt man Werke. Wer Anhänglichkeit besitzt, kann lange dauern; wer Werke besitzt, kann groß werden. Die Dauer ist die Art des Weisen; die Größe ist das Wirkungsfeld des Weisen.

Hier wird ausgeführt, wie das Leichte und das Einfache sich auswirken im Menschenleben. Das Leichte ist leicht zu verstehen, daraus ergibt sich seine Suggestivkraft. Wer ganz klare, leicht zu verstehende Gedanken hat, gewinnt die Anhänglichkeit der Menschen, weil er die Liebe verkörpert. Dadurch wird er frei von den Wirren der Kämpfe und Dissonanzen. Indem die innere Bewegung in Harmonie ist mit der Umgebung, kann sie sich ungestört auswirken und lange dauern. Diese Einheitlichkeit und Dauer ist die innere Seelenverfassung des Weisen.

Genau dasselbe ist der Fall auf dem Gebiet des Handelns. Was einfach ist, läßt sich leicht nachahmen. Infolge davon sind die andern bereit, ihre Kraft in derselben Richtung zu betätigen; denn jeder wird gerne das tun, was ihm leicht wird, weil es einfach ist. So summieren sich die Kräfte, die Einfachheit wird ganz von selbst zur Mannigfaltigkeit. Dadurch wächst sie heran, und der Beruf des Weisen wird erfüllt, als Führer der Menge die Menge zu großen Werken zu leiten.

§8. Durch Leichtigkeit und Einfachheit erfaßt man die Gesetze der ganzen Welt. Hat man die Gesetze der ganzen Welt erfaßt, so ist darin die Vollendung enthalten.

Hier wird die Anwendung der oben durchgeführten Grundsätze auf die Gestaltung des Buchs der Wandlungen gezeigt. Das Leichte und das Einfache wird symbolisiert durch einen ganz geringen Wandel der einzelnen Striche. Die Striche werden aus geteilten zu ungeteilten durch eine ganz leichte Bewegung, durch die die getrennten Enden zusammengeschlossen werden. Sie werden aus ungeteilten zu geteilten durch eine ganz einfache Trennung in der Mitte. Auf diese Weise werden durch diese ganz leichten und einfachen Änderungen die Gesetze alles Werdens unter dem Himmel abgebildet, und die Vollendung wird dadurch erreicht.

Es wird hierdurch die Art der Wandlung als Wandlung der kleinsten Teile definiert. Das ist die vierte Bedeutung des Wortes I, die allerdings mit der Bedeutung "Wandel" nur in losem Zusammenhang steht.

Kapitel II: Über die Abfassung und den Gebrauch des Buchs der Wandlungen

§1. Die heiligen Weisen stellten die Zeichen auf, damit man daran die Erscheinungen erblicken sollte. Sie fügten die Urteile bei, um Heil und Unheil zu zeigen.

Die Zeichen des Buchs der Wandlungen sind Abbilder der Erscheinungen auf Erden. Sie zeigen in ihrem Zusammenhang den Zusammenhang des Weltgeschehens. So waren sie Darstellungen der Ideen. Allein diese Bilder oder Erscheinungen zeigten nur das Tatsächliche. Es blieb nun noch übrig, daraus einen Ratschlag zu entnehmen, damit man wußte, ob eine Richtung des Handelns, die aus dem Bild sich ergab, wertvoll oder schädlich war, ob man sie einschlagen oder vermeiden sollte. Soweit war die Grundlage des Buchs der Wandlungen schon zur Zeit des Königs Wen vorhanden. Die Zeichen waren sozusagen Orakelbilder, die zeigten, was unter bestimmten Umständen als Ereignis zu erwarten war. Jetzt wurden vom König Wen und seinem Sohn die Erklärungen beigefügt. Dadurch ergab sich, ob der Verlauf der durch die Bilder angedeuteten Handlung Heil oder Unheil brachte. So kam das Moment der Freiheit herein. Man konnte im Abbild des Weltgeschehens nun nicht nur sehen, was an Ereignissen zu erwarten war, sondern sah, wohin sie führten. Da man den Ereigniskomplex zunächst im Abbild vor sich hatte, konnte man sein Handeln danach einrichten, indem man Richtungen, die Heil erwarten ließen, verfolgte und solche, die in Unheil führten, vermied, noch ehe der Ereigniskomplex begonnen war.

§2. Indem die festen und weichen Striche einander verdrängen, entsteht Veränderung und Umgestaltung.

Hier wird im Einzelnen ausgeführt, inwiefern im Buch der Wandlungen die Weltvorgänge dargestellt sind. Im Buch der Wandlungen sind die Zeichen zusammengesetzt aus festen und weichen Strichen. Unter bestimmten Umständen wandeln sich diese festen und weichen Striche, so daß die Festen sich umgestalten und erweichen und die Weichen sich verändern und verfestigen. Damit ist die Nachbildung des Wechsels der Welterscheinungen gegeben.

§3. Darum sind Heil und Unheil die Nachbildungen von Verlust oder Gewinn; Reue und Beschämung sind die Nachbildungen von Trauer oder Vorsorge.

Wenn die Richtung der Handlung mit den Weltgesetzen übereinstimmt, dann führt sie zum Gewinn des Erstrebten. Dies findet seinen Ausdruck in dem beigefügten Wort: Heil. Wenn die Richtung des Handelns mit den Weltgesetzen in direktem Gegensatz steht, so führt sie notwendig zu Verlust. Dies wird bezeichnet durch das Urteil: Unheil. Nun gibt es aber auch Bewegungsrichtungen, die nicht so unbedingt auf ein Ziel losführen, Abbiegungen der Richtung sozusagen. Wenn nun die Richtung ursprünglich falsch war, aber man rechtzeitig Trauer darüber empfindet, kann man das Unheil vermeiden und durch Umkehr das Heil doch noch erlangen. Dieser Zustand wird ausgedrückt durch das Urteil: Reue. Dieses Urteil enthält also eine Aufforderung zur Trauer und Umkehr. Auf der andern Seite kann eine Richtung ursprünglich richtig gewesen sein, aber man gerät in Gleichgültigkeit und Übermut und kommt so unvermerkt aus dem Heil ins Unheil. Das wird ausgedrückt durch das Urteil: Beschämung. Dieses Urteil enthält also eine Warnung zur Vorsorge, daß man innehält auf dem Fehlweg und sich zum Heil zurückwendet.

§4. Veränderung und Umgestaltung sind die Nachbildungen von Fortschritt und Rückschritt. Das Feste und das Weiche sind die Nachbildungen von Tag und Nacht. Die Bewegungen der sechs Linien enthalten die Wege der drei Urmächte.

Veränderung ist die Umwandlung einer weichen Linie in eine feste. Das deutet auf Fortschritt. Umgestaltung ist die Umwandlung eines festen Strichs in einen weichen. Das deutet auf Rückschritt. Die festen Striche sind die Darstellungen des Lichtes, die weichen Striche die Darstellungen desDunkels[6]. Die sechs Linien jedes Zeichens sind verteilt auf die drei Urmächte: Himmel, Erde und Mensch. Die bei den unteren Plätze sind der Ort der Erde, die beiden mittleren der Ort des Menschen, die beiden oberen der Ort des Himmels. Diese Abteilung des Kapitels zeigt, inwiefern das Buch der Wandlungen eine Nachbildung der Weltverhältnisse enthält.

§5. Darum ist es die Ordnung der Wandlungen, der sich der Edle hingibt und wodurch er zur Ruhe kommt. Es sind die Urteile zu den einzelnen Linien, deren sich der Edle erfreut und über die er nachsinnt.

Von hier ab wird der rechte Gebrauch des Buchs der Wandlungen gezeigt. Eben weil das Buch der Wandlungen eine Nachbildung aller Weltverhältnisse ist mit den beigefügten, die chdtte Richtung weisenden Urteilen, gilt es nun, das tatsächliche Leben nach diesen Ideen zu bilden, so daß das Leben seinerseits eine Nachbildung des Wandels wird. Dies ist kein Idealismus in dem Sinn, daß man ein starres Idealbild einem anders gearteten Leben künstlich und äußerlich einbilden wollte. Sondern indem das Buch der Wandlungen den wesentlichen Sinn der verschiedenen Lebenslagen erfaßt, wird man dadurch instand gesetzt, sein Leben sinnvoll zu gestalten, indem man der Ordnung und Reihenfolge nach jeweils gerade das tut, was die Lage erfordert. Indem man auf diese Weise jeder Lage gewachsen ist, weil man dem Sinn der Lage sich ohne Widerstand hingibt, gelangt man zum Frieden der Seele. So kommt das Handeln in Ordnung. Aber ebenso wird das Denken befriedigt, indem durch die Meditation über die Urteile der einzelnen Linien die Weltbeziehungen intuitiv erkannt werden.

§6. Darum betrachtet der Edle in Zeiten der Ruhe diese Bilder und sinnt nach über die Urteile. Wenn er etwas unternimmt, so betrachtet er die Veränderungen und sinnt nach über die Orakel. Darum wird er vom Himmel gesegnet. "Heil I Nichts, das nicht fördernd ist."

Hier sind die Zeiten der Ruhe und des Handelns erwähnt. In Zeiten der Ruhe erlangt man durch Meditation über die Bilder und Urteile des Buchs Erfahrung und Lebensweisheit. In Zeiten des Handelns greift man zum Orakel vermittelst der Veränderungen, die sich in den Zeichen durch Handhabung der Schafgarbenstengel zeigen, und entnimmt dementsprechend die Ratschläge, die sich auf diese Weise für das Handeln ergeben.

B. Die Ausführungen

Kapitel III: Über die Worte zu den Zeichen und Linien

§1. Die Entscheidungen beziehen sich auf die Bilder. Die Strichurteile beziehen sich auf die Veränderungen.

Die Entscheidungen (Urteile), die König Wen zu den Gesamtzeichen gab, beziehen sich jeweils auf das durch das Zeichen dargestellte Bild der Gesamtsituation. Die den einzelnen Strichen vom Herzog von Dschou beigefügten Urteile beziehen sich auf die innerhalb der Gesamtsituation sich vollziehenden Veränderungen. Beim Orakel kommen diese Strichurteile nur in Betracht, wenn die betreffenden Linien sich "bewegen", d. h. entweder durch eine Neun oder durch eine Sechs dargestellt werden. (Das Nähere hierüber vergleiche in dem Abschnitt über das Orakel.)

§2. "Heil" und "Unheil" bezieht sich auf Verlust oder Gewinn, "Reue" und "Beschämung" bezieht sich auf kleinere Unvollkommenheiten. "Kein Makel" bedeutet, daß man imstande ist, seine Fehler auf die rechte Weise auszubessern.

Hier ist eine nähere Ausführung von §3 des vorigen Kapitels. Wenn man in Worten und Handlungen immer das Rechte trifft, das heißt Gewinn; wenn man nicht das Rechte trifft, das heißt Verlust. Kleinere Abweichungen vom Rechten heißen Unvollkommenheiten. Wenn man das Rechte nicht weiß und aus Versehen das Unrechte tut, das ist ein Fehler. Wenn man diese kleinen Unrichtigkeiten merkt und sie wieder gutmachen möchte, so entsteht Reue. Wenn man seine kleinen Unrichtigkeiten nicht merkt oder die Möglichkeit hätte, sie gutzumachen, aber nicht fähig oder gewillt ist, sie gutzumachen, so entsteht Beschämung. Die Fehler sind wie die Risse in einem Kleid: wenn ein Kleid zerrissen ist und man bessert es aus, so ist es wieder ganz. Wenn man Fehler hat und bessert sie dadurch aus, daß man sich dem Rechten wieder zuwendet, so bleibt kein Makel.

§3. Darum beruht die Anordnung von vornehm und gering auf den einzelnen Plätzen, der Ausgleich von groß und klein auf den Gesamtzeichen, die Unterscheidung von Heil und Unheil auf den Urteilen.

Die sechs Plätze des Zeichens werden folgendermaßen unterschieden: der unterste und der oberste sind sozusagen außerhalb der Situation. Davon ist der unterste der geringe Platz, weil er noch nicht in die Situation eingetreten ist. Der oberste Platz ist vornehm; er ist der Weise außerhalb der Weltgeschäfte, unter Umständen auch ein vornehmer Mann ohne Macht. Von den inneren Plätzen sind zwei und vier die Plätze der Beamten, bzw. der Söhne, der Frauen. Davon ist der vierte der höhere, der zweite der geringere. Der dritte und der fünfte Platz haben maßgebende Stellungen, der dritte an der Spitze des unteren Zeichens, der fünfte als Herrscher des Ganzen.

Groß und klein bedeutet die festen und die weichen Linien. Sie finden ihren Ausgleich im Gesamtzeichen. Sowohl die Großen als die Kleinen können gut sein und Heil bedeuten, wenn sie an den für sie richtigen Plätzen stehen. Welches diese Plätze sind, läßt sich nicht in abstracto bestimmen, sondern das kommt auf die Art des Gesamtzeichens an. Oft kann die Lage so sein, daß Weichheit gut ist; dann wird ein weicher Strich auf weichem Platz besonders günstig sein, und ein fester auf festem Platz kann dann unter Umständen ungünstig sein. Oft ist Kraft nötig; dann ist ein weicher Strich auf festem Platz besser; oft wieder verlangt die Situation, daß Charakter und Platz übereinstimmen: kurz, die Verteilung im einzelnen ergibt sich aus dem betreffenden Zeichen, bzw. der Situation, die es nachbildet. Darum sind die Urteile beigefügt, um Heil bzw. Unheil anzudeuten, wie es sich aus der Situation ergibt.

§4. Die Sorge vor Reue und Beschämung beruht auf der Grenze.
Der Antrieb zur Makellosigkeit beruht auf der Reue.

Reue und Beschämung sind die Folge von Abweichungen vom rechten Weg und bedingen daher stets eine Umkehr. Man kann sich beides ersparen, wenn man zur rechten Zeit auf der Hut ist. Der Punkt, wo die Sorge einzusetzen hat, die Reue und Beschämung erspart, ist der Grenzpunkt, da, wo das Gute oder Böse sich im Gemüt schon regt, aber noch nicht in die Erscheinung getreten ist. Wenn man in diesem Moment eingreift und der Bewegung in ihrem Keim die Richtung aufs Gute gibt, bleibt einem Reue und Beschämung erspart. Wenn dagegen ein Fehler schon gemacht ist, so ist die Reue die psychologische Kraft, die zu Buße und Besserung führt.

§5. Darum gibt es unter den Zeichen kleine und große, und dementsprechend reden die Urteile von Gefahr oder Sicherheit. Die Urteile weisen jedesmal auf die Richtung der Entwicklung hin.

Unter den Situationen, die durch die Zeichen nachgebildet sind, gibt es aufwärtsstrebende, expansive und absteigende, sich verengernde. Dementsprechend ist zu manchen Zeiten mehr mit Gefahr zu rechnen, zu andern wieder auf Sicherheit und Ruhe zu hoffen. Um sich jeweils der entsprechenden Situation völlig anzupassen, ist es von großem Wert, daß man diese Verhältnisse kennt. Das ist ebenfalls die Funktion der Urteile, daß sie jeweils die Richtung angeben, in der die Situation sich entwickelt.

Kapitel IV: Die tieferen Beziehungen des Buchs der Wandlungen

§1. Das Buch der Wandlungen enthält das Maß von Himmel und Erde; darum kann man damit den SINN von Himmel und Erde umfassen und gliedern.

Dieses Kapitel geht von den geheimnisvollen Zusammenhängen aus, in denen die Nachbildungen des Buchs der Wandlungen mit der Wirklichkeit stehen. Eben weil im Buch der Wandlungen ein vollkommenes Abbild von Himmel und Erde, ein Mikrokosmos aller möglichen Beziehungen gegeben ist, vermag man alle Bewegungen der entsprechenden Beziehungskomplexe daraus zu berechnen.

Die Frage, inwiefern das Buch der Wandlungen ein solches Abbild des Kosmos sein könne, beantwortet sich dadurch, daß es das Werk von Menschen mit kosmischer Intelligenz ist, die ihre Weisheit in den Symbolen dieses Buchs niedergelegt haben. Somit enthält dieses Buch den Standard von Himmel und Erde.

In dem folgenden Paragraphen wird ausgeführt, wie der Umstand, daß im Buch der Wandlungen das Maß, der Standard von Himmel und Erde enthalten ist, es ermöglicht, daß man an der Hand dieses Buches die Gesetze der Welt erforschen kann, während der dritte Paragraph aus der Ähnlichkeit der Wandlungen mit Himmel und Erde die restlose Darstellung der inneren Anlagen folgert und der vierte Paragraph daraus, daß die Wandlungen alle Gestalten in sich befassen, zeigt, wie man schließlich zur Beherrschung des Schicksals kommen kann.

§2. Indem man emporblickend mit seiner Hilfe die Zeichen am Himmel verständnisvoll betrachtet und niederblickend die Linienzüge der Erde untersucht, erkennt man die Verhältnisse des Dunkeln und Hellen. Indem man an die Anfänge zurückgeht und die Dinge bis zu Ende verfolgt, erkennt man die Lehren von Geburt und Tod. Die Vereinigung von Samen und Kraft wirkt die Dinge; das Entweichen der Seele bewirkt die Veränderung: daraus erkennt man die Zustände der ausgehenden und rückkehrenden Geister.

Das Buch der Wandlungen beruht auf den beiden Grundprinzipien des Lichten und des Dunkeln. Die Zeichen sind aufgebaut aus diesen Elementen. Die einzelnen Linien sind entweder ruhig oder in Bewegung. Indem sie ruhig sind (das sind die Linien, die durch die Zahl 7 = fest und 8 = weich dargestellt werden), bauen sie die bestimmten Zeichen auf. Indem sie sich bewegen (das ist der Fall, wenn die Linien durch die Zahl 9 = fest und 6 = weich dargestellt werden), lösen sie das Zeichen wieder auf und verwandeln es in ein anderes. Diese Vorgänge sind es nun, die den Blick eröffnen in die Geheimnisse des Lebens.

Wenn man diese Prinzipien anwendet auf die Zeichen am Himmel (Sonne = Licht, Mond = dunkel) und die Linienzüge auf Erden (Himmelsrichtungen), so erkennt man die Verhältnisse des Dunkeln und Hellen, d. h. die Gesetze, die dem Lauf der Jahreszeiten und ihrem Wechsel zugrunde liegen, der das Hervortreten und Zurückgehen der vegetativen Lebenskraft bedingt. Auf diese Weise erkennt man durch Beobachtung der Anfänge und Endpunkte des Lebens, daß Geburt und Tod nichts anderes ist als ebenderselbe Kreislauf. Geburt ist das Hervortreten in die Welt der Sichtbarkeit, Tod ist das Zurückkehren in die Gebiete des Unsichtbaren. Beide bedingen ebensowenig einen absoluten Anfang oder ein absolutes Ende, wie das bei den Erscheinungen des Jahres in ihrem Wechsel der Fall ist. Nicht anders verhält es sich mit den Menschen. Wie die konstanten Linien die Zeichen aufbauen und, wenn sie in Bewegung kommen, eine Veränderung bewirken, so wird das körperliche Dasein aufgebaut durch die Vereinigung "ausgehender" Lebensströme des (männlichen) Samens und der (weiblichen) Kraft. Dieses körperliche Dasein ist verhältnismäßig konstant, solange die aufbauenden Kräfte im Ruhezustand des Gleichgewichts sich befinden. Geraten sie in Bewegung, so entsteht der Abbau. Das Seelische entweicht - das höhere Seelische steigt aufwärts, das niedrige Seelische sinkt zur Erde -; der Leib löst sich auf. Die geistigen Kräfte, die Aufbau und Abbau des sichtbaren Daseins bewirken, sind ebenfalls entweder dem lichten oder dem dunkeln Prinzip angehörig. Die lichten Geister (Schen) gehen aus, das sind die wirkenden, die auch neue Verkörperungen eingehen können; die dunkeln Geister (Gui) kehren heim, das sind die sich zurückziehenden, die den Ertrag des Lebens erst verarbeiten. Es liegt in dieser Auffassung von rückkehrenden und ausgehenden Geistern keineswegs der Gedanke von guten und bösen Wesen, sondern nur der Unterschied des sich ausstreckenden und sich zusammenziehenden Substrats der Lebenskraft. Es sind Wechselzustände im großen Meer des Lebens.

§3. Indem der Mensch dadurch dem Himmel und der Erde ähnlich wird, kommt er nicht in Widerspruch mit ihnen. Seine Weisheit umfaßt alle Dinge, und sein SINN ordnet die ganze Welt; darum macht er keinen Fehler. Er wirkt allenthalben, aber er läßt sich nirgends hinreißen. Er freut sich des Himmels und kennt das Schicksal, darum ist er frei von Sorgen. Er ist zufrieden mit seiner Lage und ist echt in seiner Gütigkeit. Darum vermag er Liebe zu üben.

Hier wird gezeigt, wie mit Hilfe der Grundsätze des Buchs der Wandlungen die restlose Darstellung der inneren Anlagen möglich ist. Diese Entfaltung beruht darauf, daß der Mensch in sich innere Anlagen hat, die Himmel und Erde ähnlich sind, daß er ein Mikrokosmos ist. Indem nun im Buch der Wandlungen die Gesetze von Himmel und Erde nachgebildet sind, gibt es zugleich die Hilfsmittel an die Hand, die eigne Natur zu bilden, so daß die innersten guten Anlagen rein zur Darstellung kommen. Hierbei kommt ein Doppeltes in Betracht: die Weisheit und das Wirken, Intellekt und Wille. Indem Intellekt und Wille richtig zentriert sind, kommt auch das Gefühls~ leben in die richtige Harmonie der Stimmung. Es sind vier Sätze, die man auf Weisheit und Liebe, Gerechtigkeit und Sitte zurückführen kann, wobei dann wieder die Kombination mit den vier Worten des Zeichens .das Schöpferische": .Erhabenes Gelingen, fördernd ist Beharrlichkeit" naheliegt. Die Wirkung von Weisheit, Liebe und Gerechtigkeit zeigt sich im ersten Satz. Auf der Grundlage umfassender Weisheit können die Anordnungen, die der Liebe zur Welt entspringen, so getroffen werden, daß für alle das Rechte herauskommt und kein Fehler gemacht wird. Das ist das Fördernde. Der zweite Satz zeigt Weisheit und Liebe, die sich nichts und niemandem versagt, geordnet durch die Sitte, die zu nichts Ungehörigem, Einseitigem sich hinreißen läßt und dadurch Gelingen hat. Der dritte Satz zeigt die Harmonie des Innern in vollendeter Weisheit, die sich des Himmels freut und seine Fügungen versteht. Das gibt die Grundlage für die Beharrlichkeit. Der letzte Satz endlich zeigt die Liebe, die sich vertrauensvoll in jede Lage fügt und aus dem Schatz der innern Gütigkeit sich im Wohlwollen gegen alle Menschen zeigt und dadurch die Erhabenheit, die Wurzel alles Guten, erreicht.

§4. In ihm sind die Formen und Bereiche aller Gestaltungen des Himmels und der Erde, so daß nichts ihm entgeht. In ihm sind alle Dinge ringsum vollendet, so daß ihrer keines fehlt. Darum kann man durch ihn den SINN von Tag und Nacht durchdringen, so daß man ihn versteht. Darum ist der Geist an keinen Ort gebunden und das Buch der Wandlungen an keine Gestalt.

Hier wird gezeigt, inwiefern man durch das Buch der Wandlungen zur Beherrschung des Schicksals kommen kann. Die Prinzipien des Buchs der Wandlungen enthalten die Kategorien aller Dinge, wörtlich die Gußformen und den Umfang aller Umgestaltungen. Diese Kategorien sind im Geist des Menschen; alles, was geschieht und sich umgestaltet, muß den durch den Menschengeist vorgeschriebenen Gesetzen gehorchen. Erst durch das Inkrafttreten dieser Kategorien werden die Dinge zu Dingen. Indem diese Kategorien im Buch der Wandlungen niedergelegt sind, ermöglicht es, die Bewegungen des Lichten und des Dunklen, des Lebens und des Todes, der Götter und der Dämonen zu durchdringen und zu verstehen. Diese Erkenntnis ermöglicht aber die Beherrschung des Schicksals. Denn das Schicksal kann gestaltet werden, wenn man seine Gesetze kennt. Der Grund, warum man dem Schicksal entgegentreten kann, ist der, daß die Wirklichkeit immer bedingt und durch diese räumlich-zeitlichen Bedingungen beschränkt und bestimmt ist. Der Geist aber ist an diese Bestimmungen nicht gebunden und kann sie daher herbeiführen, wie es durch seine Zwecke erfordert wird. Das Buch der Wandlungen ist deshalb so umfassend in seiner Anwendungsmöglichkeit, weil es nur diese rein geistigen Beziehungen enthält, die so abstrakt sind, daß sie in jedem Gefüge von Wirklichkeit ihren Ausdruck finden können. Sie enthalten nur den SINN, der dem Geschehen zugrunde liegt. Darum lassen sich alle zufälligen Konstellationen nach diesem SINN gestalten. Die bewußte Anwendung dieser Möglichkeiten aber gewährt die Herrschaft über das Schicksal.

Kapitel V: Der SINN in seinem Verhältnis zur lichten und dunklen Kraft

§1. Was einmal das Dunkle und einmal das Lichte hervortreten läßt, das ist der SINN.

Das Lichte und das Dunkle sind die beiden Urkräfte, dieselben, die im bisherigen Text als fest und weich oder als Tag und Nacht bezeichnet wurden. Fest und weich ist die Bezeichnung der Linien im Buch der Wandlungen, Licht und Dunkel die Bezeichnung der beiden Urkräfte in der Natur. Warum bisher Tag und Nacht genannt wurde und hier auf einmal die Ausdrücke Licht und Dunkel auftreten, möge einer späteren Untersuchung zu erklären vorbehalten sein. Möglicherweise handelt es sich um eine spätere Schicht des Textes. Jedenfalls können wir beobachten, daß der Gebrauch dieser Ausdrücke mit der Zeit immer mehr überhand nimmt.

Die Ausdrücke Yin = Dunkel und Yang = Licht bezeichnen die lichte bzw. schattige Seite eines Berges oder Flusses, wobei Yang die Südseite des Berges ist, weil sie von der Sonne beschienen wird, während es bei einem Fluß die Nordseite darstellt, weil hierher das Licht des Flusses reflektiert wird. Für das Yin gilt jeweils das Umgekehrte. Allmählich werden diese Bezeichnungen ausgedehnt auf die beiden polaren Weltkräfte, die wir positiv und negativ nennen können. Möglich ist, daß mit diesen Bezeichnungen, die mehr den Kreislauf betonen als den Wechsel, dann auch die kreisförmige Darstellung des Uranfangs

aufgekommen ist, die später eine so groBe Rolle

spielt[7].

§2. Als Fortsetzender ist er gut. Als Vollender ist er das Wesen. Die Urkräfte kommen nicht zum Stillstand, sondern der Kreislauf des Werdens setzt sich dauernd fort. Der Grund dafür ist, daß zwischen den beiden Urkräften immer wieder ein Spannungszustand entsteht, ein Gefälle, das die Kräfte in Bewegung hält und zu ihrer Vereinigung drängt, wodurch sie sich immer wieder neu erzeugen. Das wird durch den SINN bewirkt, ohne daß er dabei irgendwie in Erscheinung tritt. Diese Eigenschaft des SINNS, die Welt zu erhalten durch dauerndes Neuerzeugen des Spannungszustandes zwischen den polaren Kräften, wird als gut bezeichnet (vgl. Laotse, Kap. 8)[8].

Als die Kraft, die die Dinge vollendet, ihnen ihre Individualität, ihren Mittelpunkt verleiht, um den sie sich in sich selbst organisieren, heißt er das Wesen, das, was die Dinge bei ihrer Entstehung bekommen[9].

§3. Der Gütige entdeckt ihn und nennt ihn gütig. Der Weise entdeckt ihn und nennt ihn weise. Das Volk gebraucht ihn Tag für Tag und weiß nichts von ihm; denn der SINN des Edlen ist selten.

Der SINN in seiner Offenbarung erscheint jedem auf seine eigne Weise. Der tätige Mensch, dem die Gütigkeit und Menschenliebe das Höchste ist, entdeckt diesen SINN des Weltgeschehens und nennt ihn die höchste Gütigkeit: "Gott ist die Liebe." Der kontemplative Mensch, dem ruhige Weisheit das Höchste ist, entdeckt diesen SINN des Weltgeschehens und nennt ihn die höchste Weisheit. Das gemeine Volk lebt in den Tag hinein, dauernd getragen und genährt von diesem SINN, aber weiß nichts von ihm; es sieht nur, was vor Augen ist. Denn die Art des Edlen, die nicht nur Dinge sieht, sondern den SINN der Dinge, ist selten. Der SINN der Welt ist zwar Güte und Weisheit, aber er ist seinem innersten Wesen nach auch jenseits von Güte und Weisheit.

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§4. Er offenbart sich als Gütigkeit, aber er verbirgt seine Wirkungen. Er belebt alle Dinge, aber er teilt nicht die Sorgen des heiligen Weisen. Seine herrliche Art, sein großes Wirkungsfeld sind das Höchste, was es gibt.

Die Bewegung von innen nach außen zeigt den SINN in seinen Offenbarungen als Allgütigen. Aber dabei bleibt er geheimnisvoll am lichten Tag. Die Bewegung von außen nach innen verbirgt die Ergebnisse seiner Wirkungen. Es ist, wie im Frühling und Sommer sich alle Keime entfalten und die lebenspendende Güte der Natur offenbar wird. Daneben aber geht die stille Kraft, die alle Ergebnisse des Wachstums im Samen verbirgt und in geheimnisvoller Weise die Wirkungen des kommenden Jahres vorbereitet. Der SINN wirkt auf diese Weise unerschöpflich und ewig. Aber diese belebende Wirkung, der alle Wesen ihr Dasein verdanken, ist etwas rein Spontanes. Sie gleicht nicht dem bewußten Sorgen des Menschen, der mit innerer Mühe das Gute erstrebt.

§5. Daß er alles in vollem Reichtum besitzt, das ist sein groBes Wirkungsfeld. Daß er alles täglich erneuert, das ist seine herrliche Art.

Es gibt nichts, das nicht der Besitz des SINNS wäre; denn er ist allgegenwärtig; alles, was ist, ist in ihm und durch ihn. Aber es ist kein toter Besitz, sondern durch seine ewige Art macht er alles immer wieder neu, so daß die Welt jeden Tag wieder so herrlich ist wie am ersten Schöpfungstage.

§6. Als Erzeuger alles Erzeugens heißt er die Wandlung.

Das Dunkle erzeugt das Lichte, und das Lichte erzeugt das Dunkle in unaufhörlichem Wechsel; aber was diesen Wechsel, dem alles Leben sein Dasein verdankt, erzeugt, das ist der SINN und sein Gesetz der Wandlung.

§7. Als Vollender der Urbilder heißt er das Schöpferische, als Nachbildendes heiBt er das Empfangende.

Es liegt hier die Anschauung zugrunde, die auch im Taoteking ausgesprochen ist[10], daß nämlich der Wirklichkeit eine Welt der Urbilder zugrunde liegt, die in der körperlichen Welt ihre Nachbilder - eben die wirklichen Dinge - haben. Die Welt der Urbilder ist der Himmel, die Welt der Nachbilder die Erde, dort die Kraft, hier der Stoff, dort das Schöpferische, hier das Empfangende. Aber es ist derselbe SINN, der sich sowohl im Schöpferischen als im Empfangenden auswirkt.

§8. Indem er dazu dient, die Gesetze der Zahl zu erforschen und so die Zukunft zu wissen, heißt er die Offenbarung. Indem er dazu dient, die Veränderungen mit lebendigem Zusammenhang zu durchdringen, heißt er das Werk.

Auch das Künftige entwickelt sich nach den festen Gesetzen, nach berechenbaren Zahlen. Wenn man diese Zahlen kennt, so lassen sich die zukünftigen Ereignisse mit vollkommener Sicherheit berechnen. Auf diesem Gedanken beruht das Orakel des Buchs der Wandlungen. Dieses Unabänderliche ist die Weit des Dämonischen, in der es keine Willkür gibt. Hier liegt alles fest. Das ist das Gebiet des Yin. Aber außer dieser starren Welt der Zahl gibt es lebendige Tendenzen. Die Dinge entwickeln sich, sie verfestigen sich in einer Richtung, sie erstarren, dann gehen sie unter, eine Veränderung tritt ein, der Zusammenhang ist wieder hergestellt, die Weit ist wieder eins. Das Geheimnis des SINNS ist nun, in dieser Welt des Wandelbaren, der Welt des Lichts, dem Gebiet des Yang, die Veränderungen so in Gang zu halten, daß keine Erstarrung eintritt, sondern fortwährend der durchgehende Zusammenhang erhalten bleibt. Wem es gelingt, dem, was er schafft, diese Regenerationskraft mitzugeben, der schafft etwas Organisches, und das so geschaffene Werk hat Dauer in sich selbst.

§9. Dasjenige an ihm, was durch das Lichte und Dunkle nicht ermessen werden kann, heißt der Geist.

Die beiden Grundkräfte in ihrem Wechsel und ihrer gegenseitigen Wirkung dienen zur Erklärung der sämtlichen Erscheinungen der Welt. Aber es bleibt ein Rest, der sich durch dieses Gegenspiel nicht erklären läßt, ein letztes Warum. Diese letzte Tiefe des SINNS ist der Geist, das Göttliche, Unerforschliche, schweigend zu Verehrende an ihm.

Kapitel VI: Übertragung des Verhältnisses des SINNS auf das Buch der Wandlungen

§1. Das Buch der Wandlungen ist weit und groß. Redet man von der Ferne, so kennt es keine Schranken. Redet man von der Nähe, so ist es still und recht. Redet man vom Raum zwischen Himmel und Erde, so umfaßt es alles.

Hier wird das Buch der Wandlungen in Beziehung gesetzt zu der Weit des Makrokosmos und Mikrokosmos. Erst wird sein Bereich im Horizontalen, in der Weite angegeben. Seine Gesetze gelten in allen Fernen, und ebenso gelten sie für das Nächste, als die Gesetze der eigenen Brust. Dann wird die vertikale Richtung, der Raum zwischen Himmel und Erde, angegeben, weil die Schicksale der Menschen sozusagen vom Himmel herabkommen.

§2. Das Schöpferische ist im Ruhezustand eins und im Bewegungszustand geradeaus, darum erzeugt es das Große. Das Empfangende ist im Ruhezustand geschlossen und im Bewegungszustand sich öffnend, darum erzeugt es das Weite.

Das Schöpferische ist hier das Zeichen des Buchs der Wandlungen und besonders die Linie, durch die es symbolisiert wird. Diese Linie ist im Ruhezustand eine einfach eindimensionale Linie: . Im Bewegungszustande ist die Bewegung direkt nach vorwärts gerichtet. Das Empfangende ist durch eine geteilte Linie symbolisiert: . Im Ruhezustand schließt sie sich, im Bewegungszustand öffnet sie sich. So ist das, was durch das Schöpferische gewirkt wird, seiner Art nach bezeichnet als groß. Das Schöpferische erzeugt die Qualität. Das, was durch das Empfangende erzeugt wird, ist seiner Gestalt nach bezeichnet als weit, mannigfaltig. Das Empfangende erzeugt die Quantität.

§3. Durch seine Weite und Größe entspricht es Himmel und Erde. Durch seine Veränderungen und Zusammenhänge entspricht es den vier Jahreszeiten. Durch die Bedeutung des Lichten und Dunkeln entspricht es Sonne und Mond. Durch das Gute des Leichten und Einfachen entspricht es der höchsten Art.

Hier werden die Parallelen des Buchs der Wandlungen mit den Weltzusammenhängen aufgezeigt. Es enthält räumliche Mannigfaltigkeit, Quantität, wie die Erde. Es enthält intensive Größe, Qualität, wie der Himmel. Es zeigt Veränderungen und in sich zusammengeschlossene Zusammenhänge wie der Lauf des Jahres innerhalb der vier Jahreszeiten. Es zeigt im Prinzip des Lichten dieselbe Bedeutung, wie sie der Sonne zugrunde liegt. Das Lichte heiBt Yang. Die Bezeichnung der Sonne ist Tai Yang, das große Lichte. Im Prinzip des Dunkeln zeigt es dieselbe Bedeutung, wie sie dem Mond zugrunde liegt. Das Dunkle heiBt Yin. Die Bezeichnung für den .Mond ist Tai Yin, das große Dunkle.

Oben wurde ausgeführt, daß das Wesen des Schöpferischen im Leichten, das Wesen des Empfangenden im Einfachen liegt, jenen Keimen des Werdens, aus denen sich alles Weitere spontan entwickelt. Diese Art entspricht dem Guten im SINN in seiner Kunst, das Leben auf die einfachste Weise fortzusetzen (vgl. Kap. 5, §2), und damit der höchsten Art des Sinns (vgl. Kap.5, §4?).

Kapitel VII: Die Wirkungen des Buchs der Wandlungen auf den Menschen

§1. Der Meister sprach: Ist nicht das Buch der Wandlungen das Höchste? Das Buch der Wandlungen ist es, wodurch die heiligen Weisen ihre Art erhöhten und ihr Wirkungsfeld erweiterten.
Die Weisheit erhöht. Die Sitte macht demütig. Die Höhe ahmt dem Himmel nach. Die Demut folgt dem Vorbild der Erde.

Der Spruch wird ausdrücklich als Wort des Meisters Kung bezeichnet, woraus folgt, daß der Aufsatz nicht in seinem ganzen Umfang von Kungtse stammen kann, sondern in seiner Schule entstand. In Wirklichkeit enthalten die einzelnen Kapitel ja auch ausführungen sehr verschiedener Art und wohl auch aus verschiedener Zeit.

Es wird hier gezeigt, wie das Buch der Wandlungen, recht benützt, zur Übereinstimmung mit den letzten Weltprinzipien führt. Die Weisen erhöhen dadurch ihre Art, indem sie die Weisheit sich aneignen, die in diesem Buch geborgen ist. Damit kommen sie in Übereinstimmung mit dem Himmel, der hoch ist. Als Geist gewinnt man auf diese Weise Höhe des Standpunkts. Auf der andern Seite erweitern sie ihr Wirkungsfeld. Durch den umfassenden Gesichtskreis erhebt sich der Gedanke der Sitte, der Einzelne ordnet sich dem Ganzen unter. Durch diese demütige Unterordnung kommen sie in Übereinstimmung mit der Erde, die niedrig ist. Als Einzelpersönlichkeit gewinnt man auf diese Weise die Weite des Wirkungsfelds.

§2. Himmel und Erde bestimmen den Schauplatz, und die Wandlungen vollziehen sich inmitten davon. Das vollendete Wesen des Menschen, das sich dauernd erhält, ist das Tor des SINNS und der Gerechtigkeit.

Der Himmel ist der Schauplatz der geistigen Welt, die Erde der Schauplatz der körperlichen Welt. In diesen Welten bewegen sich die Dinge, die alle nach den Regeln des Buchs der Wandlungen sich entwickeln und umgestalten. Ebenso ist das Wesen des Menschen, das vollendet ist und dauert, das Tor, durch das die Handlungen des Menschen aus- und eingehen; und wenn man in Einklang mit den Lehren des Buchs der Wandlungen sich befindet, entsprechen diese Handlungen dem SINN der Welt und der Gerechtigkeit. Dabei entspricht der SINN, der in seiner Äußerung sich als Gütigkeit zeigt, dem lichten und die Gerechtigkeit dem dunklen Prinzip, der Erhöhung und Erweiterung des Wesens.


Kapitel VIII. Über den Gebrauch der beigefügten Erklärungen

§1. Die heiligen Weisen vermochten alle die wirren Mannigfaltigkeiten unter dem Himmel zu übersehen. Sie beobachteten die Formen und Erscheinungen und bildeten die Dinge und ihre Eigenschaften ab. Das nannte man: die Bilder.

Es wird hier gezeigt, wie aus den Urbildern, die den Erscheinungen und Dingen zugrunde liegen, die Abbilder des Buchs der Wandlungen entstanden.

§2. Die heiligen Weisen vermochten all die Bewegungen unter dem Himmel zu übersehen. Sie betrachteten, wie sie zusammentrafen und zusammenhingen, um nach ihren ewigen Ordnungen zu laufen. Da fügten sie Urteile bei, um ihr Heil und Unheil zu entscheiden. Das nannte man: die Urteile.

Das letzte Wort heißt im Text "Striche". In der Übersetzung wurde die Korrektur von Hu Schi in seiner Geschichte der chinesischen Philosophie" akzeptiert, die die Gegenüberstellung von Bildern und Urteilen, wie sie sich auch an andern Stellen des Buchs der Wandlungen findet, besser herausbringt.

§3. Sie reden von den wirrsten Mannigfaltigkeiten, ohne daß sie Abneigung erwecken. Sie reden von dem höchst Beweglichen, ohne daß sie Verwirrung veranlassen.
§4. Das kommt davon her, daß sie beobachteten, ehe sie redeten, und besprachen, ehe sie sich bewegten. Durch Beobachtung und Besprechung machten sie die Veränderungen und Umgestaltungen vollkommen.

Auch in diesen beiden Paragraphen tritt die Gegenüberstellung von Beobachtung am Bild der Zeichen für die Kenntnis der Mannigfaltigkeiten und Besprechung im Urteil der Zeichen für die Kenntnis der Bewegungsrichtungen hervor. Wir haben hier Ausführungen über die Theorie des Einfachen als Wurzel der Mannigfaltigkeiten der Form (in Übereinstimmung mit dem Empfangenden) und des Leichten als Wurzel aller Bewegungen (in Übereinstimmung mit dem Schöpferischen) wie in Kap. I, § 6ff. Die folgenden Paragraphen (Reste eines ausführlichen Kommentars zu den einzelnen Linien der Zeichen) führen nun Beispiele dafür an.

§5. "Ein rufender Kranich im Schatten. Sein Junges antwortet ihm. Ich habe einen guten Becher. Ich will ihn mit Dir teilen."
Der Meister sprach: Der Edle weilt in seinem Zimmer. Äußert er seine Worte gut, so findet er Zustimmung aus einer Entfernung von über tausend Meilen. Wieviel mehr noch aus der Nähe! Weilt der Edle in seinem Zimmer und äußert seine Worte nicht gut, so findet er Widerspruch aus einer Entfernung von über tausend Meilen. Wieviel mehr noch aus der Nähe! Die Worte gehen von der eignen Person aus und wirken auf die Menschen. Die Werke entstehen in der Nähe und werden sichtbar in der Ferne. Worte und Werke sind des Edlen Türangel und Armbrustfeder. Indem sich diese Angel und Feder bewegen, bringen sie Ehre oder Schande. Durch Worte und Werke bewegt der Edle Himmel und Erde. Muß man da nicht vorsichtig sein!

Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 61, Dschung Fu, innere Wahrheit, Neun auf zweitem Platz: Ausführung über das Reden.

§6. "Die gemeinsamen Menschen weinen erst und klagen, aber nachher lachen sie."
Der Meister sprach:
Das Leben führt den ernsten Mann auf bunt verschlungnem Pfade.
Oft wird gehemmt des Laufes Kraft, dann wieder geht's gerade.
Hier mag sich ein beredter Sinn in Worten frei ergießen,
Dort muß des Wissens schwere Last in Schweigen sich verschließen.
Doch wo zwei Menschen einig sind in ihrem innern Herzen,
Da brechen sie die Stärke selbst von Eisen oder Erzen.
Und wo zwei Menschen sich im innern Herzen ganz verstehen,
Sind ihre Worte süß und stark wie Duft von Orchideen.

vgl. [[Buch1#Z63|Buch I, Zeichen Nr. 13, Tung Jen, Gemeinschaft mit Menschen, Neun auf fünftem Platz]]: ebenfalls über das Reden.

§7. "Anfangs eine Sechs bedeutet: Unterlegen mit weißem Schilfgras. Kein Makel."
Der Meister sprach: Wenn man etwas nur einfach auf den Boden stellt, so geht es ja auch. Aber wenn man es mit weißem Schilfgras unterlegt, was für ein Fehler könnte dabei sein! Das ist das Außerste an Vorsicht. Das Schilfgras ist an sich ein wertloses Ding, aber es kann von sehr wichtiger Wirkung sein. Wenn man so vorsichtig ist in allem, was man tut, bleibt man frei von Fehlern.
 Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 28, Da Go, des GroBen Übergewicht, Anfangssechs: Über das Handeln.
§8. "Ein verdienstvoll bescheidener Edler bringt zu Ende. Heil."
Der Meister sprach: Wenn man sich seiner Mühen nicht rühmt und seine Verdienste sich nicht zur Tugend anrechnet, das ist die höchste Großzügigkeit. Das heißt, daß man sich mit seinen Verdiensten unter andere stellt. In seiner Art herrlich, in seinen Sitten ehrfurchtsvoll, ist der Bescheidene äußerst verdienstvoll, und deshalb vermag er seine Stellung zu wahren.

Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 15, Kiän, die Bescheidenheit, Neun auf drittem Platz: über das Handeln.

§9. "Hochmütiger Drache wird zu bereuen haben."
Der Meister sprach: Wer vornehm ist ohne die Stellung dazu, wer hoch ist ohne das Volk dazu, bei wem die tüchtigen Leute in untergeordneten Stellen sind, ohne daß sie seine Unterstützung finden, der wird es zu bereuen haben, sowie er sich bewegt.

Vgl. Buch III, Zeichen Nr. 1, Kiän, das Schöpferische, obere Neun, Wen Yän, wo dieser Passus - offenbar aus demselben Kommentar stammend - wörtlich enthalten ist: über das Handeln.

§10. "Nicht zu Tür und Hof hinausgehen ist kein Makel."
Der Meister sprach: Wo Unordnung entsteht, da sind die Worte die Stufe dazu. Wenn der Fürst nicht verschwiegen ist, so verliert er den Diener. Wenn der Diener nicht verschwiegen ist, so verliert er das Leben. Wenn Sachen im Keime nicht verschwiegen behandelt werden, so schadet das der Vollendung. Darum ist der Edle sorgfältig im Verschweigen und geht nicht hinaus.

Vgl. Buch I, Zeichen Nr.60, Dsiä, die Beschränkung, Anfangsneun: über das Reden.

§11. Der Meister sprach: Die Verfasser des Buchs der Wandlungen kannten die Räuber. Im Buch der Wandlungen heißt es:
"Wenn einer eine Last auf dem Rücken trägt und trotzdem Wagen fährt, veranlaßt er dadurch die Räuber, herbeizukommen." Eine Last auf dem Rücken zu tragen, ist das Geschäft eines gemeinen Menschen. Ein Wagen ist das Gerät eines vornehmen Mannes. Wenn nun ein Gemeiner das Gerät eines vornehmen Mannes benützt, so denken die Räuber darauf, es ihm wegzunehmen. Wenn einer frech nach oben und hart nach unten ist, so denken die Räuber daran, ihn anzugreifen. Lässige Aufbewahrung verführt die Räuber zum Stehlen. üppiger Schmuck eines Mädchens verlockt zum Raub ihrer Tugend. Im Buch der Wandlungen heißt es:
"Wenn einer eine Last auf dem Rücken trägt und trotzdem Wagen fährt, veranlaßt er dadurch die Räuber, herbeizukommen;" denn das ist ein Wink für Räuber.

Vgl. Buch I, Zeichen Nr.40, Hiä, die Befreiung, Sechs auf drittem Platz: Über das Handeln.

Kapitel IX. Über das Orakel

§1. Der Himmel ist eins, die Erde zwei, der Himmel drei, die Erde vier, der Himmel fünf, die Erde sechs, der Himmel sieben, die Erde acht, der Himmel neun, die Erde zehn.

Dieser Paragraph steht im überlieferten Text vor Kapitel X und wurde durch Tschongtse in der Sungzeit hierher versetzt und mit dem folgenden Paragraphen verbunden, der ursprünglich hinter dem jetzigen §3 stand. Die beiden Paragraphen gehören zweifellos zusammen, stehen aber mit dem Folgenden nur in recht losem Zusammenhang. Sie enthalten Zahlenspekulationen, die sich an den Abschnitt Hung Fan im Buch der Urkunden anschließen. Sie sind wohl der Anfang der Verbindung der Zahlenspekulation des Buchs der Urkunden mit der Yin~Yang~Lehre des I Ging, wie sie besonders während der Handynastie eine große Rolle gespielt hat. Zum Verständnis der Sache, von der hier nur eine kurze Andeutung gegeben werden soll, muß man zurückgehen auf die Figur, die unter dem Namen Ho Tu, der Plan vom gelben Fluß, bekannt ist, und die von Fu Hi stammen soll. Dieser Plan zeigt die Entstehung der fünf Wandlungszustände (wu hing, gewöhnlich fälschlich Elemente genannt) aus geraden und ungeraden Zahlen.

Das Wasser im Norden ist entstanden aus der Eins des Himmels, der sich die Sechs der Erde ergänzend zugesellt. Das Feuer im Süden ist entstanden aus der Zwei der Erde, der sich die Sieben des Himmels ergänzend zugesellt. Das Holz im Osten ist entstanden aus der Drei des Himmels, der sich die Acht der Erde ergänzend zugesellt. Das Metall im Westen ist entstanden aus der Vier der Erde, der sich die Neun des Himmels ergänzend zugesellt. Die Erde in der Mitte (Erdboden, Tu, stofflich, im Unterschied von Di, Erde, als Weltkörper) ist entstanden aus der Fünf des Himmels, der sich die Zehn der Erde ergänzend zugesellt.

Die zweite Anordnung, wobei die Zahlen wieder auseinandertreten und mit den acht Zeichen sich kombinieren, ist die des Lo Schu (Schrift vom Flusse La).

§2. Zahlen des Himmels gibt es fünf, Zahlen der Erde gibt es auch fünf. Wenn man sie an die fünf Plätze verteilt, so hat jede ihre Ergänzung. Die Summe der Zahlen des Himmels ist 25. Die Summe der Zahlen der Erde ist 30. Die Gesamt- summe der Zahlen des Himmels und der Erde ist 55. Dies ist es, was die Veränderungen und Umgestaltungen vollendet und Dämonen und Götter in Bewegung bringt.

Dieser Paragraph ist aus den vorangehenden Anmerkungen ohne weiteres verständlich. Er ist ebenso wie jener zweifellos aus späterer Zeit.

§3. Die Zahl der Gesamtmenge ist 50. Davon benützt man 49. Man teilt sie in zwei Teile, um die beiden Grundkräfte nachzubilden. Dann hält man eines besonders, um die drei Mächte nachzubilden. Man zählt mit vier durch, um die vier Jahreszeiten nachzubilden. Den Rest steckt man weg, um den Schaltmonat nachzubilden. In fünf Jahren sind zwei Schaltmonate, darum wiederholt man das Wegstecken, und danach hält man das Ganze.

Es wird hier der Prozeß des Orakelnehmens mit kosmischen Vorgängen in Zusammenhang gebracht. Der Hergang beim Befragen des Orakels ist folgender:

Man hat 50 Schafgarbenstengel, von denen man aber nur 49 benützt. Diese 49 werden zunächst in zwei Haufen geteilt. Dann steckt man vom Haufen rechts einen Stengel zwischen vierten und fünften Finger der linken Hand. Dann zählt man den linken Haufen mit vier durch und steckt den Rest (vier oder weniger) zwischen dritten und vierten Finger. Darauf macht man es mit dem rechten ebenso und steckt den Rest zwischen zweiten und dritten Finger. Das ist eine Wandlung. Man hat dann zusammen entweder fünf oder neun Stengel in der Hand. Nun vereinigt man die beiden Resthaufen wieder und macht denselben Hergang noch zweimal. Dieses zweite und dritte Mal bekommt man entweder vier oder acht Stengel. Die fünf beim erstenmal und die vier bei den übrigen Malen gelten als Einheit mit dem Zahlenwert 3, die neun bzw. acht haben den Zahlenwert 2. Bekommt man nun bei drei aufeinanderfolgenden Wandlungen die Werte 3+3+3=9, so ergibt das ein altes Yang, einen sich bewegenden festen Strich. 2+2+2=6 ergibt das alte Yin, einen sich bewegenden weichen Strich. 7 ist das junge Yang, 8 das junge Yin. Sie kommen als Einzelstriche nicht in Betracht (vgl. den Abschnitt über das Orakelnehmen am Schluß dieses Buches).

§4. Die Zahlen, die das Schöpferische ergeben, sind 216; diejenigen, die das Empfangende ergeben, sind 144, zusammen 360. Sie entsprechen den Tagen des Jahres.

Wenn das Schöpferische aus sechs alten Yangstrichen, d. h. lauter Neunen zusammengesetzt ist, ergeben diese beim Orakelnehmen folgende Zahlen:

Benützt werden:49Stengel
Davon ab das erstemal5 + 4 + 4 = 13"
 ________________________
 36Stengel

Dasselbe für die sechs Linien 6mal wiederholt, ergibt als Zahl für die Reste 6x36=216 Stengel.

In ähnlicher Weise ist es beim Empfangenden, falls es aus lauter Sechsen, d. h. alten Yinstrichen, besteht.

Gesamtzahl der Stengel49
Davon ab für eine Sechs (altes Yin)9 + 8 + 8 = 25

Dasselbe für die sechs Linien eines Zeichens 6mal wiederholt, ergibt 6x24 144 Stengel als Gesamtzahl der Reste.

Zählt man nun die Zahlen für das Schöpferische und das Empfangende zusammen, so erhält man 216+144=360, was der mittleren Zahl des chinesischen Jahres entspricht[11].

§5. Die Zahlen der Stengel in beiden Teilen betragen 11520, was der Zahl der 10 000 Dinge entspricht.

Im ganzen Buch der Wandlungen gibt es 192 Striche von jeder Art (im ganzen 64x6=384 Striche, davon je die Hälfte Yang bzw. Yin). Von diesen 192 Strichen ergibt jeder sich bewegende Yangstrich, wie im obigen Paragraphen gezeigt, den Stengelrest von 36, im ganzen also 192x36=6912. Die sich bewegenden Yinstriche ergeben einen Stengelrest von 24, also 192x24=4608, im ganzen also 6912+4608=11520.

§6. Darum: Es sind vier Verrichtungen nötig, um eine Wandlung zu ergeben; 18 Veränderungen ergeben ein Zeichen.

Die Worte Wandlung und Veränderung werden hier ganz im selben Sinn gebraucht. Jeder Strich setzt sich, wie oben gezeigt, zusammen aus drei "Veränderungen" oder "Wandlungen". Die vier Verrichtungen sind:

1.Abteilen der Stäbchen in zwei Haufen. 2.Entnahme des einen Stäbchens, das zwischen Goldfinger und kleinen Finger gesteckt wird. 3.Durchzählung des linken Haufens mit vier und Unterbringung des Restes zwischen Gold- und Mittelfinger. 4.Durchzählung des rechten Haufens mit vier und Unterbringung des Restes zwischen Zeige- und Mittelfinger. Durch diese vier Verrichtungen bekommt man eine "Wandlung" oder "Veränderung", d. h. den Zahlenwert 2 oder 3 (s.o.). Wird diese Wandlung dreimal wiederholt, so bekommt man den Strichwert: entweder 6 oder 7 oder 8 oder 9. Sechs Striche (=6x3=18 Wandlungen) ergeben dann den Aufbau des Zeichens.

§7. Die acht Zeichen bilden eine kleine Vollendung.

Ein Zeichen aus sechs Strichen setzt sich aus zwei dreistrichigen Zeichen zusammen. Die dreistrichigen Zeichen sind eben die acht Zeichen. Das untere heißt auch das innere, das obere heißt auch das äußere Zeichen.

§8. Wenn man fortfährt und weitergeht und die Zustände durch die Übergänge in die entsprechenden andern vermehrt, so sind damit alle möglichen Zustände auf Erden erschöpft.

Jedes der 64 Zeichen kann durch entsprechende Bewegung von einem oder mehreren Strichen in ein anderes übergehen. So erhält man im ganzen 64x64 = 4096 verschiedene Übergangszustände, die alle möglichen Situationen erschöpfen.

§9. Es offenbart den SINN und vergöttlicht die Art und den Wandel. Darum kann man mit seiner Hilfe allem auf die richtige Weise entgegentreten und mit seiner Hilfe selbst die Götter unterstützen.

Dieser Paragraph redet wieder vom Buch der Wandlungen im allgemeinen. Er spricht davon, daß das Buch den Sinn des Weltgeschehens offenbart und dadurch Art und Wandel des Menschen. der sich ihm anvertraut, göttergleich geheimnisvoll macht, so daß der Mensch instand gesetzt wird, jedem Ereignis auf die richtige Weise zu begegnen und selbst den Göttern in ihrem Walten zur Seite zu stehen.

§10. Der Meister sprach: Wer den SINN der Veränderungen und Umgestaltungen kennt, der kennt das Wirken der Götter.

Kapitel X. Der vierfache Gebrauch des Buchs der Wandlungen

§1. Das Buch der Wandlungen enthält einen vierfachen SINN der Heiligen und Weisen. Beim Reden richte man sich nach seinen Urteilen, beim Handeln richte man sich nach seinen Veränderungen, bei Anfertigung von Gegenständen richte man sich nach seinen Bildern, beim Orakelholen richte man sich nach seinen Auskünften.

§2. Darum befragt der Edle es, wenn er etwas zu machen oder zu tun hat, und zwar mit Worten. Jenes nimmt seine Mitteilungen auf wie ein Echo, es gibt nichts Fernes und Nahes, nichts Dunkles und Tiefes für dasselbe: so erfährt er die künftigen Dinge. Wenn dieses Buch nicht das allergeistigste auf Erden wäre, wie könnte es so etwas?

Hier wird die Psychologie des Orakels gezeichnet. Der Orakelsuchende formuliert sein Anliegen genau in Worten und empfängt dann wie ein Echo ohne Rücksicht, ob es sich um Nahes oder Fernes, Geheimes oder Tiefes handelt, das passende Orakel, durch das er instand gesetzt wird, die Zukunft zu erkennen. Es ist dabei gedacht, daß Bewußtes und Überbewußtes miteinander in Beziehung tritt. Das Bewußte geht bis zur Formulierung. Beim Teilen der Stäbchen tritt das Unbewußte ein, und aus dieser Teilung ergibt sich dann, wenn man das Resultat mit dem Text des Buchs vergleicht, das Orakel.

§3. Es werden die drei und fünf Verrichtungen vorgenommen, um eine Veränderung zu erreichen. Es werden Teilungen und Vereinigungen der Zahl vorgenommen. Wenn man die Änderungen durchläuft, so vollenden sie die Formen von Himmel und Erde. Steigert man ihre Zahl aufs äußerste, so bestimmen sie alle Bilder auf Erden. Wenn das nicht das Allerveränderlichste auf Erden wäre, wie könnte es so etwas?

Es ist viel über die Drei- und Fünfteilung gesprochen worden, und selbst Dschu Hi ist der Meinung, daß der Passus heute nicht mehr verständlich sei. Aber man darf nur Kapitel IX, §3 zugrunde legen, zu dem wir hier eine nähere Ausführung haben, um einen Zusammenhang in den Text zu bringen. Die "drei Verrichtungen" sind die Teilung in zwei Haufen und das Besondersstecken eines Stengels, "um die drei Mächte nachzubilden". Darauf werden die beiden Haufen je mit vier durchgezählt, weil in fünf Jahren zwei Schaltmonate sind", damit erhält man 3+2=5 Verrichtungen, die eine Veränderung ergeben. So fährt man mit Teilungen und Vereinigung fort, bis man "die Formen von Himmel und Erde vollendet", d. h. zunächst eines der acht Zeichen, d. h. eine Kleine Vollendung" (vgl. Kap. IX, §7) erlangt. Man fährt dann fort, bis man den obersten, sechsten Strich erreicht hat und dadurch ein vollständiges Bild erhält, das sich jeweils aus zwei Urzeichen zusammensetzt.

§4. Die Wandlungen haben kein Bewußtsein, keine Handlung, stille sind sie und bewegen sich nicht. Werden sie aber angeregt, so durchdringen sie alle Verhältnisse unter dem Himmel. Wenn sie nicht das Allergöttlichste auf Erden wären, wie könnten sie so etwas?

Hier ist deutlich ausgesprochen, was in den Bemerkungen zu §2 ausgeführt wurde.

Bemerkung: Die Verhältnisse des Buchs der Wandlungen können am besten verglichen werden mit dem Netzwerk einer elektrischen Leitung, die alle Verhältnisse durchdringt. Sie hat nur die Möglichkeit des Erleuchtens, aber leuchtet nicht. Indem dann durch den Fragenden der Kontakt mit einer bestimmten Situation hergestellt ist, wird der Strom erregt und die betreffende Situation erleuchtet. Ohne daß in einem der Kommentare dieses Bild gebraucht wäre, läßt sich dadurch mit wenigen Worten alles erläutern, was im Text gemeint ist.

§5. Die Wandlungen sind es, wodurch die Heiligen und Weisen alle Tiefen erreicht und alle Keime erfaßt haben.
§6. Nur durch das Tiefe kann man alle Willen auf Erden durchdringen. Nur durch die Keime kann man alle Samen auf Erden vollenden. Nur durch das Göttliche kann man ohne Hast eilen und, ohne zu gehen, ans Ziel kommen.

Hier wird gezeigt, wie dadurch, daB das Buch der Wandlungen in die unterbewußten Gebiete hinab reicht, sowohl der Raum als die Zeit ausgeschaltet werden. Der Raum als Prinzip der Mannigfaltigkeit und Verwirrung wird überwunden durch die Tiefe, das Einfache; die Zeit als Prinzip der Ungewißheit wird überwunden durch das Leichte, Keimhafte.

§7. Wenn der Meister sprach: "Das Buch der Wandlungen enthält einen vierfachen SINN der Heiligen und Weisen," so ist das damit gemeint.

Es ist wohl anzunehmen, daß in §1 ein Wort von Kungtse zugrunde liegt. das dann rhetorisch ausgeführt und hier nochmals zusammenfassend erwähnt ist.

Kapitel XI. Über Schafgarbenstengel, Zeichen und Linien

§1. Der Meister sprach: Die Wandlungen, was tun sie denn? Die Wandlungen eröffnen die Dinge, vollenden die Sachen und umfassen alle Wege auf Erden. Dies und nichts anderes. Deshalb benützten sie die Heiligen und Weisen, um alle Willen auf Erden zu durchdringen und alle Wirkungsfelder auf Erden zu bestimmen, um alle Zweifel auf Erden zu entscheiden.

Auch hier ist wieder ein Wort des Meisters vorangestellt, das in einem längeren Aufsatz variiert und ausgeführt wird.

§2. Darum ist die Art der Schafgarbenstengel rund und geistig. Die Art der Zeichen ist winkelrecht und weise. Der Sinn der sechs Linien ist wandelnd, um Auskunft zu liefern. Die Heiligen und Weisen haben auf diese Weise ihr Herz gereinigt, sich zurückgezogen und ins Geheimnis verborgen. Um Heil und Unheil kümmerten sie sich gemeinsam mit den Menschen. Göttlich waren sie, so daß sie die Zukunft kannten; weise waren sie, so daß sie die Vergangenheit bewahrten. Wer ist es, der das alles kann? Nur die Vernunft und Klarheit der Alten, ihre Erkenntnis und Weisheit, ihre göttliche Kraft ohne Nachlassen.

Hier ist durchgängig die Dreiteilung des vorigen Paragraphen weitergeführt. Die Durchdringung aller Willen wird verglichen mit der Geistigkeit der Schafgarbenstengel; sie sind rund als Symbol des Himmels und des Geistes. Die Zahl, die ihnen zugrunde liegt, ist die. Sieben, 7x7=49 ist ihre Zahl. Die Zeichen bedeuten die Erde, ihre Zahl ist die Acht, 8x8=64 ist die Summe der Zeichen. Sie dienen, um das Wirkungsfeld zu bestimmen. Die Einzellinien endlich sind beweglich und veränderlich (ihre Zahlen sind 9 und 6), um Auskunft zu geben und die Zweifel der Einzellage zu entscheiden.

Diese Erkenntnis hatten die Heiligen und die Weisen. Sie zogen sich in die Verborgenheit zurück und pflegten ihren Geist, so daß sie aller Menschen Gesinnung durchdringen konnten (Durchdringung), daß sie Heil und Unheil bestimmen konnten (Wirkungsfeld) und Vergangenheit und Zukunft kannten (Entscheidung der Zweifel). Das konnten sie vermöge ihrer Vernunft und Klarheit (Durchdringung der Willen), ihrer Erkenntnis und Weisheit (Bestimmung des Wirkungsfelds) und ihrer göttlichen Kraft (Entscheidung der Zweifel). Diese göttliche Kriegskraft (chin. Schen Wu) wirkt, ohne sich abzuschwächen (dies die bessere Lesart statt: ohne zu töten).

§3. Darum durchschauten sie den SINN des Himmels und verstanden die Verhältnisse der Menschen. So erfanden sie diese göttlichen Dinge, um dem Bedürfnis der Menschen entgegenzukommen. Die Heiligen und Weisen fasteten darum, um ihre Art göttlich klarzumachen.

Weil jene Weisen die Gesetze des Weltverlaufs und das, was den Menschen not tat, in gleicher Weise erkannten, erfanden sie den Gebrauch der Orakelstengel - dies die göttlichen Dinge -, um auf diese Weise die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. So konzentrierten sie sich in heiliger Meditation darauf, ihrem Wesen die hierfür nötige Kraft und Fülle zu geben. Dementsprechend ist das Verständnis des Buchs der Wandlungen auch an entsprechende Konzentration und Meditation geknüpft.

§4. Darum nannten sie das Schließen der Pforten das Empfangende, und das Öffnen der Pforte nannten sie das Schöpferische. Den Wechsel zwischen Schließen und Öffnen nannten sie Veränderung. Das Hin- und Hergehen ohne Aufhören nannten sie das Durchdringen. Was sichtbar sich zeigt, nannten sie Bild, was körperlich gestaltet ist, nannten sie Ding. Was festgesetzt ist für den Gebrauch, nannten sie Gesetz. Was fördernd ist beim Aus- und Eingehen und wovon die Menschen alle leben, das nannten sie das Göttliche.

Hier sind die Verhältnisse des SINNS des Himmels und die Zustände der Menschen gezeigt, wie sie die Heiligen und Weisen erkannten. Das SchlieBen und Öffnen der Pforten ist der Wechsel von Ruhe und Bewegung. Es sind zugleich zwei Zustände der Yogapraxis, die persönlicher Übung allein zugänglich sind. Das Durchdringen ist der Zustand, wenn man die souveräne Herrschaft auch in der psychischen Sphäre erreicht hat und auch in der Zeit sich hin und her bewegen kann. Die nächsten Sätze zeigen die Entstehung der körperlichen Welt. Erst liegt ein Bild, eine Idee zugrunde; nach diesem Urbild formt sich das Abbild als körperliche Gestalt. Der Hergang, der diesen Vorgang des Nachbildens regelt, ist das Gesetz; und die Kraft, die diese Vorgänge erzeugt, ist das Göttliche. Man kann zu diesen Ausführungen bei Laotse viele Parallelen finden.

§5. Darum gibt es in den Wandlungen den großen Uranfang. Dieser erzeugt die zwei Grundkräfte. Die zwei Grundkräfte erzeugen die vier Bilder. Die vier Bilder erzeugen die acht Zeichen.

Der große Uranfang (Tai Gi) spielt in der späteren Naturphilosophie eine groBe Rolle. Ursprünglich ist Gi der Firstbalken, also ein einfacher Strich als Symbol der Setzung einer Einheit: . Durch diese Setzung wird nun aber die Zweiheit mitgesetzt: ein oben und unten entsteht zugleich mit der Erscheinung dieser Setzung. Das Bedingende wird nun weiterhin als ungeteilter Strich bezeichnet, während das Bedingte durch einen geteilten Strich dargestellt wird: . Dies sind die beiden polaren Grundkräfte, die später als Yang, licht, Yin, dunkel, bezeichnet werden. Durch Verdoppelung entstehen dann die vier Bilder:

das alte oder große Yangdas alte oder große Yin
das junge oder kleine Yangdas junge oder kleine Yin,

die den vier Jahreszeiten entsprechen. Durch weitere Hinzufügung einer Linie entstehen dann die acht Zeichen:

KiänKunDschenLi
DuiSunKanGen

Dies ist derselbe Hergang, der in Laotse Kap. 42 erwähnt ist.

§6. Die acht Zeichen bestimmen Heil und Unheil. Heil und Unheil erzeugen das große Wirkungsfeld.

Das große Wirkungsfeld sind die Ordnungen und Regeln, die von den Heiligen und Weisen erlassen wurden, um für die Menschen Heil zu erlangen und Unheil zu vermeiden.

§7. Darum: es gibt keine größeren Urbilder als Himmel und Erde. Es gibt nichts Beweglicheres und Zusammenhängenderes als die vier Jahreszeiten. Es gibt unter den am Himmel hängenden Bildern keine leuchtenderen als Sonne und Mond. Es gibt in Beziehung auf Verehrung und hohe Stellung keinen größeren als den, der Reichtum und Vornehmheit besitzt. In Beziehung auf die Vorbereitung von Dingen zum Gebrauch, auf Herstellung von Geräten, die für die ganze Welt von Nutzen sind, gibt es niemand Größeres als die Heiligen und Weisen. Um die wirren Mannigfaltigkeiten zu begreifen und das Geheime zu erforschen, um das Tiefe zu erreichen und in die Ferne zu wirken und so Heil und Unheil auf Erden festzusetzen und alle Anstrengungen auf Erden zu vollenden, gibt es nichts Größeres als das Orakel.

Ähnlich wie in Laotse Kap. 25, wo von den vier Großen im Weltraum gesprochen wird, wird hier die Größe in der Natur und in der Menschenwelt zusammen genannt. Das nachzuahmende Urbild ist Himmel und Erde. Das Beweglichste und Zusammenhängendste sind die Zeiten, das Leuchtendste Sonne und Mond.

So ist auf Erden der Höchste der Menschenkönig, der Weise auf dem Thron, der, reich und vornehm zugleich, die Quelle von Reichtum und Adel ist. Ihm zur Seite stehen der wirkende Weise, der Ordner und Erfinder, und - den leuchtenden Bildern von Sonne und Mond entsprechend - das Orakel, das alle Verhältnisse auf Erden aufklärt und beleuchtet.

§8. Darum: Der Himmel erzeugt göttliche Dinge: der Heilige und der Weise nehmen sie als Muster. Himmel und Erde ändern und gestalten sich: der Heilige und der Weise ahmen ihnen nach. Am Himmel hängen Bilder, die Heil und Unheil offenbaren: der Heilige und der Weise bilden sie ab. Der gelbe Fluß brachte einen Plan hervor, und der La-Fluß brachte eine Schrift hervor: die Heiligen nahmen sie als Muster.

Es wird hier weiter der Parallelismus zwischen den Vorgängen im Makrokosmos und dem Wirken der Heiligen und Weisen ausgeführt. Die göttlichen Dinge,die Himmel und Erde erzeugen, sind wohl die Naturerscheinungen, die von den Heiligen in den acht Zeichen nachgebildet wurden. Eine andere Auffassung ist, daß es sich um Schildkröten und Schafgarben handelt. Die Veränderungen und Umgestaltungen, die sich in Tag und Nacht und in den Jahreszeiten zeigen, sind in der Art der Wandlungen der Striche nachgemacht. Die Zeichen am Himmel, die Glück und Unglück bedeuten, sind Sonne, Mond und Sterne nebst Kometen, Finsternissen und dergleichen. Sie sind abgebildet in den beigefügten Urteilen über Heil und Unheil.

Der letzte Satz, der auf zwei sagenhafte Vorgänge unter Fu Hi und Yü hindeutet, ist späterer Zusatz und hat bei der Exegese des Buchs der Wandlungen viel Unheil angerichtet. Eine Abbildung der beiden Zeichen ist in der Erklärung von Kap. IX, §1 gegeben. Daß der Zusatz hier später ist, ergibt sich daraus, daB §§7,8,9 alle auf den dreiteiligen Parallelismus zwischen Natur und Menschenwelt angelegt sind, der in §1 angeschlagen ist, ein Zusammenhang, der durch diesen Zusatz unterbrochen wird.

§9. In den Wandlungen sind Bilder, um zu zeigen; es sind Urteile beigefügt, um zu erläutern; es wird Heil oder Unheil bestimmt, um zu entscheiden.

Im Text steht "vier" Bilder; das ist aus Irrtum von §5 übernommen. Hier sind unter den Bildern die acht Zeichen zu verstehen, die die Verhältnisse in ihrem Zusammenhang zeigen. Dies entspricht den Urbildern des Himmels. Die beigefügten Urteile (zu den einzelnen Strichen) deuten die Veränderungen an. Dies entspricht den Veränderungen der Jahreszeiten. Die Entscheidungen von Heil und Unheil entsprechen dann den Zeichen am Himmel.

Kapitel XII. Zusammenfassung

§1. Im Buch der Wandlungen heißt es: "Vom Himmel her wird er gesegnet. Heil! Nichts, das nicht fördernd ist." Der Meister sprach: Segnen bedeutet helfen. Der Himmel hilft dem Hingebenden. Die Menschen helfen dem Wahrhaftigen. Wer in Wahrhaftigkeit wandelt und hingebend ist in seinem Denken und dann noch die Würdigen hochhält, der wird vom Himmel her gesegnet, hat Heil, und nichts ist, das nicht fördernd wäre.

Hier ist aus dem Torso des Kommentars zu den einzelnen Linien, von dem sich in Kap. VIII, §§5-11 Reste zeigten, eine nähere Ausführung zum Schluß von Kap. II, §6, die hier jedoch außer Zusammenhang ist.

§2. Der Meister sprach: "Die Schrift kann die Worte nicht restlos ausdrücken. Die Worte können die Gedanken nicht restlos ausdrücken."
Dann kann man also die Gedanken der Heiligen und Weisen nicht sehen?
Der Meister sprach: "Die Heiligen und Weisen stellten die Bilder auf, um ihre Gedanken restlos auszudrücken, sie stellten Zeichen dar, um Wahr und Falsch restlos auszudrücken. Sie fügten dann noch Urteile bei und konnten so ihre Worte restlos ausdrücken."
(Sie schufen Veränderung und Zusammenhang, um den Nutzen restlos darzustellen; sie trieben an, sie setzten in Bewegung, um den Geist restlos darzustellen.)

Der Abschnitt gibt in Gesprächsform nach Art der Lun Yü ein Urteil über die Ausdrucksweise des Buchs der Wandlungen. Der Meister hatte gesagt die Schrift drücke nie die Worte restlos aus, die Worte drückten nie die Gedanken restlos aus. Ein Schüler fragt, ob man denn die Gedanken der Weisen nicht zu Gesicht bekommen könne, und der Meister zeigt an der Hand des Buchs der Wandlungen, wie das möglich sei: Sie stellten Bilder und Zeichen auf, um die Verhältnisse zu zeigen, und fügten dann noch die Worte bei, so daß diese Worte im Verein mit den Bildern tatsächlich als restloser Ausdruck der Gedanken gelten.

Die letzten beiden Sätze sind aus irgendeinem andern Zusammenhang hergesetzt, wohl des gleichen grammatischen Baus wegen. (Vgl. §4, 2. Hälfte und §7)

§3. Das Schöpferische und das Empfangende ist das eigentliche Geheimnis der Wandlungen. Indem das Schöpferische und das Empfangende vollendet sich darstellen, sind die Wandlungen zwischen ihnen mitgesetzt. Würde das Schöpferische und das Empfangende vernichtet, so gäbe es nichts, woran man die Wandlungen sehen könnte. Wenn keine Wandlungen mehr zu sehen wären, so würden die Wirkungen des Schöpferischen und des Empfangenden auch allmählich aufhören.

Die Wandlungen sind hier als Naturvorgang gedacht, fast identisch mit "Leben". Das Leben beruht auf den polaren Gegensätzen der Aktivität und Rezeptivität. Dadurch wird die Spannung erhalten, deren jeweiliger Ausgleich sich als Wandlung, als Lebensvorgang zeigt. Würde dieser Spannungszustand, dieses "Gefälle" aufhören, so würde es kein Kriterium für das Leben mehr geben; es könnte sich nicht mehr äußern. Aber ebenso werden andererseits diese polaren Gegensätze, diese Spannungen durch die Wandlungen des Lebens jederzeit neu erzeugt. Würde das Leben sich nicht mehr äußern, so würden auch die Gegensätze sich durch allmähliche Entropie verwischen, und der Welttod wäre die Folge.

§4. Darum: Was oberhalb der Form ist, heißt der SINN, was innerhalb der Form ist, heißt das Ding.

Hier ist gezeigt, wie die Kräfte, die die sichtbare Welt konstituieren, jenseitige sind. Der SINN, Tao, ist hier ganz in der Bedeutung einer Ganzheitsentelechie genommen. Er ist oberhalb der Welt der Räumlichkeit, aber er wirkt - wie wir an anderer Stelle genauer sehen, durch die ihm innewohnenden "Bilder", Ideen - auf die Sichtbarkeit; und was hier entsteht, sind die Dinge. Ein Ding ist räumlich also durch seine körperliche Begrenzung erfaßt. Aber es kann nicht begriffen werden ohne Kenntnis des ihm zugrunde liegenden SINNS.

Der Paragraph hat auch einen Zusatz wie §2, der zum großen Teil mit geringer Textabweichung im Schlußparagraphen wieder vorkommt.

(Was die Dinge umgestaltet und zusammenfügt, heißt die Veränderung; was sie antreibt und gehen macht, heißt der Zusammenhang. Was sie aufhebt und darstellt für alle Menschen auf Erden, das heißt das Wirkungsfeld.)
§5. Darum, was die Bilder anlangt: Die Heiligen und Weisen vermochten all die wirren Mannigfaltigkeiten unter dem Himmel zu übersehen. Sie beobachteten die Formen und Erscheinungen und bildeten die Dinge und ihre Eigenschaften ab. Das nannte man: die Bilder. Die heiligen Weisen vermochten a11 die Bewegungen unter dem Himmel zu übersehen. Sie betrachteten, wie sie zusammentrafen und zusammenhingen, um nach ihren ewigen Ordnungen zu laufen. Da fügten sie Urteile bei, um ihr Heil und Unheil zu unterscheiden. Das nannte man: die Urteile.

§5 ist eine wörtliche Wiederholung von Kap. VIII, § 1 und 2.

§6. Die erschöpfende Darstellung der wirren Mannigfaltigkeiten unter dem Himmel beruht auf den Zeichen. Der .Antrieb aller Bewegungen unter dem Himmel beruht auf den Urteilen.

Auch dieser Paragraph steht mit Kap. VIII, §3 irgendwie in Zusammenhang, während das Folgende eine Parallelstelle der zweiten Hälfte von §4 enthält.

§7. [Die Umgestaltung und Zusammenfügung beruht auf den Veränderungen. Der Antrieb und das Gehenmachen beruht auf dem Zusammenhang. Die Geistigkeit und Klarheit beruht auf dem rechten Mann. Schweigendes Vollenden, wortloses Zutrauen beruht auf tugendvollem Wandel.+]

Hier ist zum Schluß das Ineinandergreifen von Buch und Mensch zur Darstellung gebracht. Nur durch die lebendige Persönlichkeit gewinnen die Worte des Buchs jeweils volles Leben und üben dann ihre Wirkung auf die Welt aus.

Bemerkung: Es scheint sich hier um einen Gedankengang zu handeln, dessen Reste in Kapitel VIII und hier zerstreut sind. Das Problem ist, ob bei der Mangelhaftigkeit unserer Verständigungsmittel überhaupt Kontakt über die Schranke der Zeit hinaus möglich sei, ob eine spätere Zeit eine frühere überhaupt verstehen könne. Die Antwort lautet - am Beispiel des Buchs der Wandlungen durchgeführt - bejahend. Gewiß sind Wort und Schrift unvollkommene Gedankenvermittler; aber vermittels der Bilder - wir würden sagen Ideen" - und der in ihnen liegenden Bewegungsantriebe wird eine geistige Kraft in Bewegung gesetzt, die über die Zeit hinauswirkt und, wenn sie auf den rechten Menschen trifft, der innere Verwandtschaft zu jenem SINN hat, von ihm ohne weiteres aufgenommen und aufs neue zum Leben erweckt werden kann. Das ist der Gedanke des übernatürlichen Zusammenhangs der Auserwählten aller Zeiten.

II. Abteilung

Kapitel I Über Zeichen und Linien, Schaffen und Wirken

§1. Indem die acht Zeichen der Vollendung nach geordnet sind, sind die Bilder darin enthalten. Indem sie daraufhin verdoppelt werden, sind die Linien darin enthalten.

Vgl. Abt. I, Kap.II, § 1. Die Reihenfolge nach der Vollendung ist 1. Kiän, 2. Dui, 3. Li, 4. Dschen, 5. Sun, 6. Kan, 7. Gen, 8. Kun.

Die Einzelzeichen enthalten nur die Bilder (Ideen) dessen, das sie vorstellen. Die Einzelstriche kommen erst bei den Doppelzeichen in Betracht, weil erst in den Doppelzeichen der ganze Organismus von oben und unten, innen und außen usw. hervortritt.

§2. Indem die Festen und Weichen einander verdrängen, ist die Veränderung darin enthalten. Indem die Urteile beigefügt werden mit ihren Anweisungen, ist die Bewegung darin enthalten.

Vgl. Abt. I, Kap. II, §2. Durch den Wechsel der festen und weichen Striche erscheint die Veränderung (und Umgestaltung). Die Urteile geben ihre Anweisungen durch die beigefügten Orakel: Heil und Unheil usw.

§3. Heil und Unheil, Reue und Beschämung entstehen durch die Bewegung.

Vgl. Abt. I, Kap. II, §3. Heil und Unheil, Reue und Beschämung treten in die Erscheinung erst dadurch, daß man entsprechend handelt.

§4. Die Festen und Weichen stehen fest, wenn sie an ihrem ursprünglichen Platz sind. Ihre Veränderungen und Zusammenhänge sollen der Zeit entsprechen.

Es gibt einen Gleichgewichtszustand, wenn die festen Striche auf festem Platz, die weichen auf weichem Platz stehen. Allein dieser abstrakte Gleichgewichtszustand muß der Veränderung und Neuorganisierung weichen, wenn es die Zeit erfordert. Die Zeit, d. h. die durch ein Zeichen dargestellte Gesamtsituation spielt eine wichtige Rolle für die Stellung der einzelnen Striche.

§5. Heil und Unheil gelangen durch Beharrlichkeit zur Wirkung.
Der SINN von Himmel und Erde wird durch Beharrlichkeit sichtbar. Der SINN von Sonne und Mond wird durch Beharrlichkeit hell. Alle Bewegungen unter dem Himmel werden durch Beharrlichkeit einheitlich.

Das Geheimnis der Wirkung liegt in der Dauer. Heil und Unheil bereiten sich langsam vor. Nur indem dauernd eine Richtung befolgt wird, häufen sich allmählich die Einzelwirkungen so an, daß sie nach außen hin als Heil oder Unheil in die Erscheinung treten. Ebenso sind Himmel und Erde Wirkungen von dauernden Zuständen. Indem alle lichten, klaren Kräfte dauernd nach oben steigen, alle festen und trüben Bestancheile dauernd nach unten sinken, sondert sich aus dem Chaos der Kosmos, der Himmel oben und die Erde unten, ab. Ebenso ist es mit dem Lauf von Sonne und Mond; ihre Verhältnisse des Leuchtens sind Wirkungen von dauernden Bewegungen und Gleichgewichtszuständen; und so fahren sich für alle Bewegungen und Handlungen, die dauernd fortgesetzt werden, bestimmte Geleise ein, die dann zu Gesetzen werden. Naturgesetze sind demnach nicht etwas, das ein für allemal abstrakt feststünde, sondern sie sind Dauerwirkungen, die das Gesetzmäßige je länger, desto deutlicher hervortreten lassen.

§6. Das Schöpferische ist entschieden und zeigt den Menschen daher das Leichte. Das Empfangende ist nachgiebig und zeigt den Menschen daher das Einfache.

Die beiden Grundprinzipien bewegen sich je nach den Erfordernissen der Zeit, so daß sie sich in dauerndem Wandel befinden. Aber die Art ihrer Bewegungen ist in sich einheitlich und konsequent. Das Schöpferische ist immer stark, entschieden, wirklich, und darum hat es keine Schwierigkeiten. Es bleibt sich selber immer treu, und darauf beruht seine Leichtigkeit. Schwierigkeiten sind immer Unklarheiten und Schwankungen. Ebenso ist das Empfangende in seiner Art immer sich gleichbleibend nachgiebig, der Linie des geringsten Widerstands folgend und darum einfach. Kompliziertheiten entstehen nur aus innerlich einander widerstrebenden Motiven.

§7. Die Striche ahmen das nach. Die Bilder bilden das nach.

Es wird hier eine Wortdefinition von Strichen und Bildern gegeben. Strich heißt chinesisch Hiau, nachahmen heißt ebenfalls Hiau (nur anders geschrieben). Bild und nachbilden heißt Siang (ebenfalls verschieden geschrieben). Die Striche ahmen in ihren Änderungen es nach, wie Heil und Unheil in der Bewegung durch die Dauer entsteht. Die Bilder bilden ab, wie alle Veränderungen und Zusammenhänge des Festen und Weichen im Leichten und Einfachen münden.

§8. Die Striche und Bilder bewegen sich im Innern, und Heil und Unheil offenbart sich im Äußern. Werk und Wirkungsfeld offenbart sich in den Veränderungen, die Gefühle der heiligen Weisen offenbaren sich in den Urteilen.

Die Bewegungen der Striche und Bilder und der durch sie symbolisierten kleinsten Geschehenskeime sind unsichtbar, aber ihre Wirkungen zeigen sich in Heil und Unheil in der sichtbaren Welt. Ebenso sind die Veränderungen, die sich auf Werk und Wirkungsfeld beziehen, unsichtbar, werden aber ge- offenbart durch die Worte der Urteile.

§9. Die große Art von Himmel und Erde ist es, Leben zu spenden. Der große Schatz des heiligen Weisen ist es, am rechten Platz zu stehen.
Wodurch bewahrt man diesen Platz? Durch die Menschen. Wodurch sammelt man die Menschen um sich? Durch Güter. Die Ordnung der Güter und Richtigstellung der Urteile, die die Menschen abhalten, Böses zu tun, ist die Gerechtigkeit.

Es wird hier der Zusammenhang der drei Mächte gezeigt: Himmel und Erde spenden Leben. Der heilige Weise hat dieselbe Gesinnung. Um sie aber durchführen zu können, bedarf er der Stellung als Herrscher. Diese Stellung wird bewahrt durch die Menschen, die sich unter einem sammeln. Die Menschen werden angezogen durch die Güter. Die Güter werden verwaltet und geschützt gegen Unrecht durch Gerechtigkeit.

Es ist hier eine Staatstheorie auf kosmischer Grundlage gegeben, die den Anschauungen der konfuzianischen Schule entspricht.

Manche Kommentare wollen diesen Paragraphen als Einleitung zum nächsten Kapitel stellen, was insofern eine gewisse Berechtigung hat, als das nächste Kapitel an der Hand des Buchs der Wandlungen einen Überblick über die Entwicklung der Kulturgeschichte gibt.

(Die Lesart "Gütigkeit" für "Menschen" in dem Satz: "Wodurch bewahrt man diesen Platz? Durch Menschen" wird durch den Zusammenhang widerlegt.)

Kapitel II: Kulturgeschichte

§1. Als in der Urzeit Bau Hi die Welt beherrschte, da blickte er empor und betrachtete die Bilder am Himmel, blickte nieder und betrachtete die Vorgänge auf Erden. Er betrachtete die Zeichnungen der Vögel und Tiere und die Anpassungen an die Orte. Unmittelbar ging er von sich selbst aus, mittelbar ging er von den Dingen aus. So erfand er die acht Zeichen, um mit den Tugenden der lichten Götter in Verbindung zu kommen und aller Wesen Verhältnisse zu ordnen.

Das Be Hu Tung gibt als Urzustand der menschlichen Gesellschaft folgendes an: "In der Urzeit gab es noch keine sittlichen und gesellschaftlichen Ordnungen. Die Menschen kannten nur ihre Mutter, nicht ihren Vater. Hungrig suchten sie nach Nahrung, gesättigt warfen sie die Reste weg. Sie fraßen ihre Nahrung mit Haut und Haaren und tranken das Blut und hüllten sich in Felle und Schilf. Da kam Fu Hi und blickte empor und betrachtete die Bilder am Himmel, blickte nieder und betrachtete die Vorgänge auf Erden. Er vereinigte Mann und Frau, ordnete die fünf Wandelzustände und setzte die Gesetze des Menschentums fest. Er zeichnete die acht Zeichen, um die Welt zu beherrschen."

Der mythische Begründer der Kultur wird verschieden geschrieben. Die Bedeutung des Namens scheint auf einen Jäger oder Erfinder des Kochens zu gehen. Die Frage, ob die acht oder auch schon die 64 Zeichen auf ihn zurückgehen, wird verschieden entschieden. Da er selbst eine mythische Persönlichkeit ist, mag der Streit auf sich beruhen. Sicher dürfte sein, daß König Wen die 64 Zeichen schon vorfand.

§2. Er machte geknotete Stricke und benützte sie zu Netzen und Reusen für die Jagd und den Fischfang. Das entnahm er wohl dem Zeichen: das Haftende.

Es ist in diesem Kapitel ausgeführt, wie die ganzen Kultureinrichtungen entstanden sind als Abbilder von ideellen Urbildern. Dieser Gedanke enthält in höherem Sinn eine Wahrheit. Jede Erfindung entsteht zuerst als Bild im Geist des Erfinders, ehe sie als "Gerät", als "fertiges Ding" in die Erscheinung tritt. Da nun nach der Theorie der in den Hi Tsi vertretenen Schule die 64 Zeichen auf geheimnisvolle Weise Parallelbilder zur Natur geben, so kann hier der Versuch gemacht werden, aus ihnen die menschlichen Erfindungen abzuleiten, die zur Ausgestaltung der Kultur geführt haben. Dabei ist der Hergang nicht so gedacht, daß die Erfinder einfach die Zeichen des Buchs vorgenommen und danach die Erfindungen gemacht hätten, sondern daß aus Verhältnissen, die in diesen Zeichen dargestellt waren, heraus die Erfindungen sich im Geist ihrer Urheber gestalteten.

Das Netz besteht aus Maschen, die innen leer und außen von Fäden umgeben sind. Das Zeichen

stellt eine Vereinigung von solchen Maschen vor. Dazu kommt, daß das Zeichen die Bedeutung Haften, Hängenbleiben hat, wie denn im Buch der Lieder mehrfach erwähnt ist, daß die Wildgans oder der Fasan im Netz hängen geblieben sei (Li).

§3. Als der Bau Hi Klan vorüber war, kam der Klan des göttlichen Landmanns auf. Er spaltete ein Holz als Pflugschar und bog ein Holz als Pflugstange und lehrte den Vorteil des Öffnens der Erde mit dem Pflug der ganzen Welt. Das entnahm er wohl dem Zeichen: die Mehrung.

Der primitive Pflug bestand aus einer gekrümmten Stange, an der vorn ein zugespitztes Holz befestigt war, das die Erde aufritzte. Der Vorteil gegenüber dem Hacken war, daß man auf diese Weise die Zugkraft benützen und einen Teil der Arbeit auf das Rind abschieben konnte. Das Zeichen I, die Mehrung,

besteht aus den beiden Zeichen Sun und Dschen, denen beiden das Holz zugeordnet ist. Sun bedeutet eindringen, Dschen bedeutet Bewegung. Die Kernzeichen sind Gen und Kun, denen die Erde zugeordnet ist. Daraus ergab sich der Gedanke, ein Instrument zu konstruieren aus Holz, das in die Erde eindringt und nach vorwärts bewegt wird und die Erde aufwühlt.

§4. Wenn die Sonne im Mittag stand, hielt er Markt ab. Er ließ die Leute auf Erden herbeikommen und versammelte die Waren auf Erden. Sie tauschten sie gegenseitig aus, dann kehrten sie zurück, und jedes kam an seinen Platz. Das entnahm er wohl dem Zeichen: das Durchbeißen.

Das Zeichen Schi Ho, das Durchbeißen,

besteht aus der Sonne (Li) oben und Dschen, der Bewegung, unten. Dschen bedeutet auch einen großen Weg, während das obere Kernzeichen, Kan, strömendes Wasser und das untere, Gen, kleine Pfade bedeutet. Es ist also Bewegung unter der Sonne, Zusammenströmen ausgedrückt. Das reicht freilich noch nicht aus für den Gedanken eines Marktes. Die Worte Schi Ho können, anders geschrieben, auch Speise und Ware bedeuten, so daß daraus der Gedanke des Marktes sich ergäbe. Offenbar hatte das Zeichen früher die Nebenbedeutung des Marktes, vgl. auch die Erklärung Buch I, Nr. 21, Das Durchbeißen.

§5. Als der Klan des göttlichen Landmanns vorüber war, kamen die Klans des Gelben Herren, des Yau und Schun auf. Sie brachten Zusammenhang in ihre Veränderungen, daß die Leute nicht ermüdeten. Sie waren göttlich in ihren Umgestaltungen, daß die Leute zufrieden waren. Wenn eine Wandlung am Ende angelangt war, so veränderten sie. (Durch Veränderung erreichten sie Zusammenhang.) Durch Zusammenhang erreichten sie Dauer. Darum: "Vom Himmel her wurden sie gesegnet. Heil! Nichts, das nicht fördernd ist!"
Der Gelbe Herr, Yau und Schun ließen die Ober- und Unterkleider herabhängen, und die Welt war in Ordnung. Das entnahmen sie wohl den Zeichen: das Schöpferische und das Empfangende.

Es sind in diesem Paragraphen zwei Schichten zu unterscheiden. Die ältere Schicht scheint der Schluß zu sein. Es wird die Einführung der Kleider geschildert. Dschong Kang Tschong bemerkt dementsprechend: "Der Himmel ist schwarzblau, die Erde gelb; darum machten sie die Obergewänder dunkelblau, die Untergewänder gelb."

Das Herabhängenlassen der Gewänder wurde dann später dahin verstanden, daß sie ruhig und ohne sich zu rühren dasaßen und alles von selber sich durch ihr Nichthandeln ordnete. Darauf wurde dann aus schon bekanntem Material eine Schilderung ihrer Kulturtätigkeit und des auf ihr beruhenden Segens beigefügt, von der der eingeklammerte Satz seinerseits wieder ein späterer Zusatz zu sein scheint. Der Sinn ihrer Tätigkeit war der, daß sie dauernd zeitgemäße Reformen durchführten.

§6. Sie schabten Stämme aus zu Schiffen und härteten Hölzer im Feuer zu Rudern. Der Nutzen der Schiffe und Ruder bestand in der Vermittlung des Verkehrs. (Sie erreichten die Ferne, um der Welt zu nützen.) Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: die Auflösung.

Der eingeklammerte Satz wird von Dschu Hi beanstandet. Das Zeichen Huan, die Auflösung,

besteht aus dem Zeichen Sun, Holz, über Kan, Wasser; darum steht auch im beigefügten Urteil: "Günstig ist es, das große Wasser zu durchqueren" und im Kommentar zur Entscheidung: "Sich auf das Holz verlassen schafft Verdienste." Das Schiff zur Vermittlung des Verkehrs über Flüsse und als Mittel zum Reisen in die Ferne wird hier dargestellt. Holz über dem Wasser: das ist der Sinn der Urzeichen. Die Kernzeichen Gen und Dschen bedeuten große und kleine Straßen.

§7. Sie zähmten das Rind und spannten das Pferd ein. So konnten schwere Lasten gezogen und ferne Gegenden erreicht werden, um der Welt zu nützen. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: die Nachfolge.

Das Zeichen Sui, die Nachfolge,

besteht vorne aus Dui, Munterkeit, und hinten aus DSchen, Bewegung, ein Bild, wie Rind und Pferd vorne laufen und der Wagen sich hinten bewegt. Die Rinder waren für die schweren Wagen, die Pferde für die raschen Wagen und Kriegsfahrzeuge. Das Pferd als Reittier war im ältesten China unbekannt.

§8. Sie führten doppelte Tore und Nachtwächter mit Klappern ein, um den Räubern zu begegnen. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: die Begeisterung.

Das Zeichen YÜ, die Begeisterung,

besteht oben aus dem Zeichen Dschen, Bewegung, unten aus dem Zeichen Kun, Erde. Die Kernzeichen sind Kan, das Gefährliche, und Gen, der Berg. Kun bedeutet eine geschlossene Tür, Gen bedeutet ebenfalls eine Tür, daher die Verdoppelung der Tore. Kan bedeutet den Dieb. Außer den Toren dient zur Vorbereitung (Yü bedeutet auch Vorbereitung) gegen ihn die Bewegung, das Holz (Dschen) in der Hand (Gen).

§9. Sie spalteten Holz und machten einen Stößel daraus. Sie höhlten die Erde aus als Mörser. Der Nutzen des Mörsers und Stößels kam allen Menschen zugut. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: des Kleinen Übergewicht.

Das Zeichen Siau Go, des Kleinen Übergewicht,

besteht oben aus Dschen, Holz, Bewegung und unten aus Gen, Stillstand, Stein. Go bedeutet auch Übergang. Der Mörser War die Urform der Mühle und bedeutet den Übergang vom Körneressen zum Backen.

§10. Sie bespannten ein Holz als Bogen und härteten Hölzer im Feuer als Pfeile. Der Nutzen von Pfeil und Bogen besteht darin, die Welt in Furcht zu halten. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: der Gegensatz.

Das Zeichen Kui, der Gegensatz,

besteht oben aus Li, das Haftende, und unten aus Dui, das Heitere. Die Kernzeichen sind Kan, Gefahr, und nochmals Li. Das ganze Zeichen deutet auf Streit. Li ist die Sonne, die aus der Ferne Pfeile schickt. Li bedeutet Waffen, Kan Gefahr. Die Gefahr ist von Waffen eingeschlossen, daher fürchtet man sich nicht.

§11. In der Urzeit wohnten die Menschen in Höhlen und lebten in Wäldern. Die Heiligen späterer Zeit verwandelten das in Gebäude: oben war ein Firstbalken, abwärts davon ein Dach, um Wind und Regen abzuhalten. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: des Großen Macht.

Das Zeichen Da Dschuang, des Großen Macht,

besteht oben aus Dschen, Donner; das obere Kernzeichen Dui, der See, ist oben am Himmel, Kiän, dem unteren Kernzeichen. Das untere Zeichen ist Kiän, der Himmel, der Luftraum. Das Ganze bedeutet also einen Himmel, einen starken geschützten Raum unter Donner und Regen. Das Zeichen Dschen bedeutet auch Holz und als ältester Sohn den Firstbalken oben. Die beiden weichen Striche oben werden dann als das abfallende Dach gedacht.

§12. In der Urzeit bestattete man die Toten, indem man sie dicht mit Reisig bedeckte und mitten auf dem Land beisetzte, ohne Grabhügel und Baumpflanzungen. Die Trauerzeit hatte keine bestimmte Dauer. Die Heiligen späterer Zeit führten statt dessen Särge und Sarkophage ein. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: des Großen Übergewicht.

Das Zeichen Da Go, des Großen Übergewicht,

besteht aus dem Zeichen Dui, der See, oben und Sun, Holz, Eindringen, unten. In der Mitte ist als Kernzeichen zweimal Kiän, der Himmel. Das Zeichen muß als Ganzes genommen werden, die beiden Yinstriche oben und unten bedeuten die Erde, innerhalb derer der doppelte Sarg als Himmel eingeschlossen ist. Dadurch, daß die Toten so eingehen (Sun), werden sie heiter (Dui). Der Ahnenkult findet hier seine Verankerung.

§13. In der Urzeit knotete man Stricke, um zu regieren. Die Heiligen späterer Zeit führten statt dessen schriftliche Urkunden ein, um die verschiedenen Beamten zu regieren und die Untertanen zu beaufsichtigen. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: der Durchbruch.

Das Zeichen Guai, der Durchbruch,

besteht aus Dui, Worte, oben und Kiän, stark, unten und bedeutet Festmachen der Worte. Der Einschnitt oben deutet gleichzeitig die Form der ältesten Urkunden an, die, in Holz geschnitten, aus zwei Hälften bestanden, die zusammengehalten ineinander paßten. Die alten Schriften waren in der Regel auf geglättete Bambustafeln geritzt. Hier ist die Schrift in ihrer Bedeutung für die Organisierung einer größeren Gemeinschaft hervorgehoben.

Bemerkung: Die in diesem Kapitel gegebene kulturgeschichtliche Skizze stimmt in ihren Hauptzügen merkwürdig mit unseren Auffassungen überein. Der Grundgedanke, daß allen Kultureinrichtungen eine Entwicklung von bestimmten Ideen zugrunde liegt, ist ebenfalls zweifellos richtig. Es fällt nicht immer leicht, diese Ideen in den Ideenkomplexen, die durch die genannten Zeichen dargestellt sind, wiederzuerkennen. Es ist nicht unmöglich, daß hier gewisse Zusammenhänge vorlagen, die heute verwischt sind. Manche Spuren weisen darauf hin, daß die Zeichen in der Zeit vor der Dschou-Dynastie eine andere Bedeutung hatten als die heute überlieferte. Möglicherweise eröffnet dieses Kapitel Einblicke in jene Urbedeutungen. Daß ein Bedeutungswandel auch später noch stattgefunden hat, ergibt sich, wenn wir die Urteile mit den Bildern vergleichen.

Kapitel III: Über die Struktur der Zeichen

§1. So besteht das Buch der Wandlungen aus Bildern. Die Bilder sind Nachbildungen.

Die Zeichen sind Nachbildungen der Verhältnisse am Himmel und auf Erden. Darum sind sie produktiv zu verwenden, haben sozusagen zeugende Kraft im Gebiet der Ideen, wie oben ausgeführt.

§2. Die Entscheidungen geben das Material.

Der Kommentar zur Entscheidung, von dem hier wohl gesprochen ist, gibt das Baumaterial, aus dem die Zeichen als Ganze aufgebaut sind. So zeichnet er die Gesamtsituation als solche, noch ehe sie sich verändert. Dies gilt natürlich auch von den Urteilen selber.

§3. Die Linien sind Nachahmungen der Bewegungen auf Erden.

Die Linien sind hier soviel wie die den einzelnen Linien beigefügten Urteile, die dann in Kraft treten, wenn diese Linien Neunen oder Sechsen sind, d. h. sich bewegen. In ihnen sind die Veränderungen der einzelnen Situationen abgebildet.

§4. So entstehen Heil und Unheil, und Reue und Beschämung erscheinen.

Durch diese Bewegung wird offenbar, wohin die Richtung des Geschehens sich wendet, und die Warnungs- bzw. Bestätigungszeichen werden beigefügt.

Kapitel IV: Über die Natur der Zeichen

§1. Die lichten Zeichen haben mehr dunkle Linien, die dunklen Zeichen haben mehr lichte Linien.

Die »lichten Zeichen sind die drei Söhne: ☳ Dschen, ☵ Kan, ☶ Gen, die alle aus zwei dunklen und einer lichten Linie bestehen. Die "dunklen" Zeichen sind die drei Töchter: ☴Sun, ☲ Li, ☱ Dui, die alle aus zwei lichten und einer dunklen Linie bestehen.

§2. Was ist der Grund davon? Die lichten Zeichen sind ungerade, die dunklen Zeichen sind gerade.

Die lichten Zeichen bestehen aus den Linien 7+8+8 oder 7+6+8 oder 7+6+6 oder 9+8+8 oder 9+6+6 oder 9+6+8; dasselbe gilt entsprechend von den dunklen Zeichen. Bei den ersten ist also die Summe immer ungerade, der ungerade Strich ist somit der für das Zeichen ausschlaggebende, während bei den dunklen Zeichen das Gegenteil der Fall ist.

§3. Wie ist ihre Art und ihr Wesen? Die lichten Zeichen haben einen Herrn und zwei Untertanen. Sie zeigen den Sinn des Edlen. Die dunklen Zeichen haben zwei Herren und einen Untertan. Das ist der Sinn des Gemeinen.

Wo einer herrscht, ist Einheit vorhanden. Wo dagegen einer zwei Herren dienen soll, da kann es nichts Gutes geben. Diese Wahrheit ist hier mehr zufällig an die Gestalt der Zeichen angeknüpft.

Kapitel V: Erklärung einiger Linien aus dem Buch der Wandlungen

§ 1. In den Wandlungen heißt es: "Wenn man aufgeregt hin und her denkt, so folgen nur die Freunde, auf die man bewußte Gedanken richtet."
Der Meister sprach: Was bedarf die Natur des Denkens und Sorgens? In der Natur kehrt alles zum gemeinsamen Ursprung und verteilt sich auf die verschiedenen Pfade; durch eine Wirkung wird die Frucht von hundert Gedanken verwirklicht. Was bedarf die Natur des Denkens, was des Sorgens?
§2. Wenn die Sonne geht, so kommt der Mond. Wenn der Mond geht, so kommt die Sonne. Sonne und Mond wechseln ab, und so entsteht das Licht. Wenn die Kälte geht, so kommt die Hitze. Wenn die Hitze geht, so kommt die Kälte. Kälte und Hitze wechseln ab, und so vollendet sich das Jahr. Die Vergangenheit zieht sich zusammen. Die Zukunft dehnt sich aus. Zusammenziehen und Ausdehnen wirken aufeinander, und so entsteht das Förderliche.
§3. Die Spannerraupe zieht sich zusammen, wenn sie sich ausdehnen will. Die Drachen und Schlangen halten einen Winterschlaf, um ihr Leben zu erhalten. So dient das Eindringen des Samengedankens in den Geist zu seiner Wirkung. Indem man die Wirkung förderlich macht und sein Leben in Frieden bringt, erhöht man seine Art.
§4. Was darüber noch hinausgeht, das übersteigt wohl alles Wissen. Wenn man das Göttliche ermißt und die Umgestaltungen versteht, so steigert man seine Art ins Wunderbare.

In dieser Erklärung zur Neun auf viertem Platz des Zeichens Nr. 31, Hiän, (Buch III), die Einwirkung, wird eine Theorie der Macht des Unterbewußten gegeben. Die bewußten Wirkungen sind immer nur beschränkte, weil sie durch eine Absicht hervorgerufen werden. Die Natur kennt keine Absichten, und darum ist in ihr alles so groß. Auf der Einheitlichkeit des zugrundeliegenden Wesens beruht es, daß alle tausend Wege zu einem Ziel führen, das so vollkommen ist, als wäre es aufs genaueste durchdacht.

Es wird dann im Anschluß an den Lauf des Tages und Jahres gezeigt, wie Vergangenheit und Zukunft ineinander übergehen, wie Zusammenziehung und Ausdehnung die beiden Bewegungen sind, durch die die Vergangenheit die Zukunft vorbereitet und die Zukunft die Vergangenheit entfaltet.

In den beiden folgenden Paragraphen wird dann die Anwendung auf den Menschen gezogen, der durch höchste Konzentration sein inneres Wesen so steigert und festigt, daß objektive, geheimnisvolle Kraftströme von ihm ausgehen, so daß seine Wirkungen aus dem Unterbewußten hervorgehen und geheimnisvoll auf das Unterbewußtsein der Andern wirken, so daß eine Breite und Tiefe der Wirkung erzielt wird, die über das Individuelle hinausgeht und in die kosmischen Erscheinungsformen übergeht.

§5. In den Wandlungen heißt es: "Man läßt sich bedrängen durch Stein und stützt sich auf Dornen und Disteln. Man geht in sein Haus und sieht nicht seine Frau. Unheil!" Der Meister sprach: Wenn jemand sich von etwas, das ihn nicht bedrängen sollte, bedrängen läßt, so wird sein Name sicher in Schande geraten. Wenn er sich auf Dinge stützt, auf die man sich nicht stützen kann, so wird sein Leben sicher in Gefahr geraten. Wer in Schande und Gefahr ist, dem naht die Todesstunde; wie kann er da noch seine Frau sehen?

Ein Beispiel für einen ungünstigen Spruch. Erklärung zu Nr. 47, Kun, die Erschöpfung, Sechs auf drittem Platz (Buch I).

§6. In den Wandlungen beißt es: "Der Fürst schießt nach einem Habicht auf hober Mauer. Er erlegt ihn, alles ist fördernd." Der Meister sprach: Der Habicht ist der Zweck der Jagd. Bogen und Pfeil sind Werkzeuge und Mittel. Der Schütze ist der Mensch (der die Mittel zum Zweck richtig gebrauchen muß). Der Edle birgt die Mittel in seiner Person. Er wartet die Zeit ab, und dann handelt er. Wie sollte da nicht alles gutgehen? Er handelt und ist frei. Darum braucht er nur auszugehen und erlegt die Beute. So steht es mit einem Menschen, der handelt, nachdem er seine Mittel fertig hat.

Ein Beispiel eines günstigen Strichs. Erklärung zu Nr. 40, Hiä, die Befreiung, obere Sechs (Buch I).

§7. Der Meister sprach: Der Gemeine schämt sich nicht der Lieblosigkeit und scheut sich nicht vor Ungerechtigkeit. Wenn er keinen Vorteil winken sieht, so rührt er sich nicht. Wenn er nicht eingeschüchtert wird, so bessert er sich nicht. Doch wenn er im Kleinen zurechtgebracht wird, so nimmt er sich im Großen in acht. Das ist für den geringen Menschen ein Glück. Das ist damit gemeint, wenn es im Buch der Wandlungen heißt: "Steckt mit den Füßen im Block, daß die Zehen verschwinden. Kein Makel."

Ein Beispiel eines Strichs, der durch Reue zum Guten führt. Erklärung zu Nr. 21, Schi Ho, das Durchbeißen, Anfangsneun (Buch I).

§8. Wenn das Gute sich nicht ansammelt, reicht es nicht aus, einem einen Namen zu machen. Wenn das Böse sich nicht ansammelt, ist es nicht stark genug, einen zu vernichten. Der Gemeine denkt deshalb, Gutes im Kleinen habe keinen Wert, darum unterläßt er es; er denkt, kleine Sünden schaden nichts, darum gewöhnt er sie sich nicht ab. So sammeln sich seine Sünden an, bis sie sich nicht mehr bedecken lassen, und seine Schuld wird so groß, daß sie sich nicht mehr lösen läßt.
In den Wandlungen heißt es: "Steckt mit dem Hals im hölzernen Kragen, daß die Ohren verschwinden. Unheil!"

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man durch Beschämung zum Unheil geführt wird. Erklärung zu Nr.21, Schi Ho, das Durchbeißen, obere Neun (Buch I).

§9. Der Meister sprach: Gefahr entsteht, wo einer sich auf seinem Platz sicher fühlt. Untergang droht, wo einer seinen Bestand zu wahren sucht. Verwirrung entsteht, wo einer alles in Ordnung hat. Darum vergißt der Edle, wenn er sicher ist, nicht der Gefahr, und wenn er besteht, nicht des Untergangs, und wenn er Ordnung hat, nicht der Verwirrung. Dadurch kommt er persönlich in Sicherheit und vermag das Reich zu schützen.
In den Wandlungen heißt es: "Wenn es mißlänge! Wenn es mißlänge! Dadurch bindet er es an ein Bündel von Maulbeerstauden."

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man ohne Makel ist und dadurch Gelingen hat. Erklärung zu Nr. 12, Pi, die Stockung, Neun auf fünftem Platz (Buch I).

§10. Der Meister sprach: Schwacher Charakter bei geehrter Stellung, geringes Wissen und große Pläne, kleine Kraft und schwere Verantwortung werden selten dem Unheil entgehen.
In den Wandlungen heißt es: "Der Tiegel bricht die Beine. Das Mahl des Fürsten wird verschüttet, und die Gestalt wird befleckt. Unheil!"
Das ist von jemand gesagt, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist.

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man Unheil hat, weil man den Verhältnissen nicht gewachsen ist. Erklärung zu Nr.50, Ding, der Tiegel, Neun auf viertem Platz (Buch I).

§11. Der Meister sprach: Die Keime zu erkennen, das ist wohl göttlich. Der Edle ist in seinem Verkehr nach oben nicht schmeichelnd, im Verkehr nach unten nicht anmaßend. Er kennt wohl die Keime. Die Keime sind der erste, unmerkliche Beginn der Bewegung, das, was von Heil (und Unheil) zuerst sich zeigt. Der Edle sieht die Keime und handelt sofort. Er wartet nicht erst den ganzen Tag.
In den Wandlungen heißt es: "Fest wie ein Stein, kein ganzer Tag. Beharrlichkeit bringt Heil!"
Fest wie ein Stein,
Wozu ein ganzer Tag?
Das Urteil kann man wissen.
Der Edle kennt Geheim- und Offenbares,
Er kennt das Schwache, kennt das Starke auch,
Drum schauen die Myriaden zu ihm auf.

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man durch Vorherwissen dem Unheil rechtzeitig zu entgehen vermag. Erklärung von Nr. 16, Yü, die Begeisterung, Sechs auf zweitem Platz (Buch I).

§12. Der Meister sprach: Yän Hui, der wird es wohl erreichen. Wenn er eine Unvollkommenheit hat, so kommt es nie vor, daß er sie nicht erkennt. Wenn er sie erkannt hat, kommt es nie vor, daß er sie zum zweitenmal begeht.
In den Wandlungen heißt es: "Wiederkehr aus geringer Entfernung. Es bedarf keiner Reue. Großes Heil!"

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man aus den Ereignissen lernen kann. Yän Hui, von dem hier gespromen wird, ist der Lieblingsjünger Kungs, von dem auch in den Gesprächen gesagt ist, daß er nie einen Fehler wiederholt habe. Erklärung zu Nr.24, Fu, die Wiederkehr, Anfangsneun (Buch III).

§13. Der Meister sprach: Himmel und Erde kommen in Berührung, und alle Dinge gestalten sich und gewinnen Form. Das Männliche und Weibliche mischt seinen Samen, und alle Wesen gestalten sich und werden geboren.
In den Wandlungen heißt es: "Wenn drei Menschen miteinander wandern, so vermindern sie sich um einen. Wenn ein Mensch wandert, so findet er seinen Gefährten."

Ein Beispiel eines Strichs, der günstig ist, durch Einheit. Erklärung zu Nr. 41, Sun, die Minderung, Sechs auf drittem Platz (Buch III).

§14. Der Meister sprach: Der Edle bringt seine Person in Ruhe, ehe er sich bewegt. Er faßt sich in seinem Sinn, ehe er redet. Er festigt seine Beziehungen, ehe er um etwas bittet. Indem der Edle diese drei Stücke in Ordnung bringt, ist er in völliger Sicherheit. Wenn man aber unvermittelt ist in seinen Bewegungen, so tun die Leute nicht mit. Wenn man aufgeregt ist in seinen Worten, so finden sie keinen Widerhall bei den Leuten. Wenn man ohne vorherige Beziehungen etwas verlangt, so geben es einem die Leute nicht. Wenn niemand mit einem ist, dann kommen die Schädiger herbei.
In den Wandlungen heißt es: "Er gereicht niemand zur Mehrung. Es schlägt ihn wohl gar jemand. Er hält sein Herz nicht dauernd fest. Unheil!"

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie auf die Vorbereitung alles ankommt. Erklärung zu Nr. 42, I, die Mehrung, obere Neun (Buch I).

Kapitel VI: Über die Art des Buchs der Wandlungen im allgemeinen

§1. Der Meister sprach: Das Schöpferische und das Empfangende sind doch recht eigentlich das Tor zu den Wandlungen. Das Schöpferische ist der Vertreter der lichten Dinge, das Empfangende der dunklen Dinge. Indem Dunkel und Licht ihre Art vereinen, gewinnt das Feste und das Weiche Gestalt. So gestalten sich die Verhältnisse des Himmels und der Erde, und man kommt in Zusammenhang mit der Art der lichten Götter.

Im Anschluß an Abt. 1, Kap. XII, §3 ist hier die Methode des Buchs der Wandlungen dargelegt. Die beiden ersten Zeichen "das Schöpferische" und "das Empfangende" werden als Repräsentanten der beiden polaren Urkräfte gezeigt. Es soll erklärt werden, wie der Stoff das Produkt der Kraft ist. Das Lichte und das Dunkle sind Kräfte. Durch Zusammenwirken dieser Kräfte entsteht das Stoffliche, Festes und Weiches. Dieses Stoffliche bildet die Form, den Leib aller Wesen im Himmel und auf Erden. Aber was es in Bewegung hält, das sind immer Kräfte. Und es kommt darauf an, Anschluß zu haben an diese Kräfte, diese göttlichen, leuchtenden.

§2. Die angewandten Namen sind vielfältig, aber nicht überflüssig. Wenn wir ihre Arten untersuchen, so treten uns Gedanken an den Untergang einer Zeit entgegen.

Die Namen der 64 Zeichen sind sehr mannigfach. Aber sie halten sich alle im Kreis des Notwendigen. Es sind Situationen gezeichnet, wie sie das Leben tatsächlich mit sich bringt. Die Art der Situationen ist durchgehends so, daß man daraus sieht, daß auf ein untergehendes Zeitalter Bezug genommen wird, dem die Mittel zum Neuaufbau an die Hand gegeben werden sollen. Es wird darauf hingewiesen, daß der Gedankenkreis der Zeichen einer Zeit entstammt, da man schon mit Niedergangserscheinungen zu rechnen hatte.

§3. Die Wandlungen beleuchten die Vergangenheit und erklären die Zukunft. Sie zeigen das Verborgene und eröffnen das Dunkle. Durch treffende Namen unterscheiden sie die Dinge. Indem dann richtige Worte und entschiedene Urteile dazu kommen, ist alles vollkommen.

Der Text scheint - wie überhaupt in diesem ganzen Kapitel - etwas unsicher zu sein. Der Gesamtsinn ist aber ohne weiteres zu verstehen. Es ist auch hier wieder auf die verschiedenen Beziehungen des Buchs der Wandlungen hingewiesen, wie zeitlich und räumlich das Verborgene enthüllt wird, erst symbolisch durch Namen und Beziehungen und schließlich ausdrücklich durch die Urteile.

§4. Die angewandten Namen klingen unbedeutend, aber ihre Anwendungsmöglichkeiten sind groß. Ihr Sinn ist weitreichend, ihre Urteile geordnet. Die Worte sind umschreibend, aber treffend. Die Sachen sind offen dargelegt, doch enthalten sie noch ein tieferes Geheimnis. Darum können sie in zweifelhaften Fällen dazu dienen, den Wandel der Menschen zu lenken und so die Vergeltung des Treffens und Verfehlens zu zeigen.

Es wird hier auf das Abstrakt~Allegorische der Zeichen hingewiesen, die sozusagen perspektivisch eine durchgehende Übertragung auf alle möglichen Verhältnisse gestatten, weil sie nur die Gesetze bieten, die in den verschiedenen Komplexreihen gelten.

Kapitel VII: Die Beziehung einiger Zeichen zur Charakterbildung

§1. Das Aufkommen der Wandlungen war in der Zeit des mittleren Altertums. Die die Wandlungen verfaßt haben, hatten viel Sorge und Leid.

Das bezieht sich auf König Wen und seinen Sohn, den Herzog von Dschou, die beide schwere Zeiten durchzumachen hatten. Der Schreiber dieser Zeilen fühlt sich in diesem Stück mit ihnen verbunden. Auch er kann nichts anderes tun als den Organisationsplan einer untergehenden Kultur auf die Nachwelt retten.

§2. So zeigt das Zeichen "Auftreten" das Fundament des Charakters, das Zeichen "Bescheidenheit" die Handhabe des Charakters. das Zeichen "Wiederkehr" den Stamm des Charakters; das Zeichen "Dauer" bewirkt die Festigkeit des Charakters, das Zeichen "Minderung" die Pflege des Charakters, das Zeichen "Mehrung" die Fülle des Charakters, das Zeichen "Bedrängnis" die Prüfung des Charakters, das Zeichen "Brunnen" das Feld des Charakters, das Zeichen "das Sanfte" die Betätigung des Charakters.
§3. Das Zeichen "Auftreten" ist harmonisch und erreicht das Ziel. "Bescheidenheit" ehrt und ist leuchtend. "Wiederkehr" ist klein und doch verschieden von den Außendingen. "Dauer" zeigt mannigfaltige Erfahrungen ohne Überdruß. "Minderung" zeigt erst die Schwierigkeit und dann das Leichte. "Mehrung" zeigt Wachstum der Fülle ohne Kunstgriffe. "Bedrängnis" führt in Ratlosigkeit und dadurch zu Erfolg. "Brunnen" weilt auf seinem Platz und hat doch Einfluß auf andre. "Das Sanfte" vermag die Dinge zu wägen und verborgen zu bleiben.
§4. Das "Auftreten" bewirkt harmonischen Wandel. "Bescheidenheit" dient dazu, die Sitte zu ordnen. "Wiederkehr" dient zur Selbsterkenntnis. "Dauer" bewirkt Einheit des Charakters. "Minderung" hält Schaden fern. "Mehrung" schafft Förderung des Nützlichen. Durch "Bedrängnis" lernt man seinen Groll verringern. "Brunnen" bewirkt Unterscheidung, was das Rechte ist. Durch das "Sanfte" vermag man die besonderen Umstände zu berücksichtigen.

Es ist hier an der Hand von neun Zeichen eine Darstellung der Entwicklung des Charakters gegeben, und zwar in der Art, daß zunächst die Beziehungen der Zeichen zum Charakter, darauf das Material der Zeichen und endlich ihre Wirkung gegeben werden. Die Bewegung geht von innen nach außen. Was sich im intimsten Herzen auswirkt, wird in seinen Folgen nach außen sichtbar. Die neun Zeichen sind:

  1. Lü, das Auftreten, Nr. 10. Das Zeichen behandelt die Regeln des guten Benehmens, deren Befolgung Vorbedingung für Charakterbildung ist. Dieses gute Benehmen ist harmonisch - entsprechend dem Zeichen "das Heitere", das innen ist - und kommt dadurch selbst unter schwierigen Umständen (Auftreten auf den Schwanz des Tigers) zum Ziele. So bewirkt es die harmonischen Formen, die für das äußere Benehmen Vorbedingung sind.
  2. Kiän, die Bescheidenheit, Nr. 15. Das Zeichen bezeichnet die Gesinnung, die notwendig ist, damit man überhaupt die Bildung des Charakters unternimmt. Die Bescheidenheit (Berg unter der Erde) ehrt andre und kommt dadurch selbst zu Ehren. Ruf diese Weise ordnet sie den Verkehr, daß man auf Freundlichkeit Freundlichkeit erlangt. Sie gibt den Formen die richtige Gesinnung als Inhalt.
  3. Fu, die Wiederkehr, Nr.24. Das Zeichen ist dadurch charakterisiert, daß ein lichter Strich von unten wiederkehrt und nach oben steigt. Es bedeutet Wurzel und Stamm des Charakters. Das Gute, das sich unten zeigt, ist zunächst noch ganz unscheinbar, aber es ist stark genug, um sich in seiner Eigenart allen Versuchungen der Umgebung gegenüber dauernd durchzusetzen. Als Wiederkehr legt es auch den Gedanken dauernder Umkehr nach begangenen Fehlern nahe und der dazu nötigen Selbstprüfung und Selbsterkenntnis.
  4. Hong, die Dauer, Nr.32. Das Zeichen bewirkt die Festigkeit des Charakters in der Zeit. Es zeigt Wind und Donner in stetigem Zusammensein, daher gibt es mannigfaltige Bewegungen und Erfahrungen, aus denen sich feste Regeln ergeben, so daß ein einheitlicher Charakter die Folge ist.
  5. Sun, die Minderung, Nr.41. Das Zeichen zeigt Minderung des Niederen, der ungebändigten Triebe, zugunsten des höheren geistigen Lebens. Hiermit ist die eigentliche Pflege des Charakters gegeben. Sie zeigt erst die Schwierigkeit in der Bändigung der Triebe und dann das Leichte, wenn der Charakter beherrscht ist, und hält so Schaden fern.
  6. I, die Mehrung, Nr.42. Das Zeichen gibt dem Charakter die nötige Fülle. Bloße Askese reicht nicht aus zu einem guten Charakter; es ist auch Größe dazu nötig. Die Mehrung zeigt nun ein organisches Wachstum der Persönlichkeit an, das nicht gemacht ist und daher das Nützliche fördert.
  7. Kun, die Bedrängnis, Nr.47. Das Zeichen führt den gebildeten Charakter nun in das Feld seiner Bewährung ein. Schwierigkeiten, Hindernisse erheben sich, die überwunden werden müssen, sich aber oft als unüberwindbar erweisen. Hier sieht der Mensch sich Grenzen gegenüber, die er nicht beseitigen kann, und deren Überwindung nur durch ihre Rnerkennung ermöglichtwird. Indemso Dinge anerkannt werden, die als Schid{sal anerkannt werden müssen, verlernt man es, das Widrige zu hassen - denn welchen Wert hätte es, gegen das Schid{sal anzugehen! -, und durch diese Verminderung des Grolls läutert sich der Charakter auf eine höhere Stufe empor.
  8. Dsing, der Brunnen, Nr. 48. Das Zeichen stellt einen Brunnenquell dar, dessen weitreichende Wirkung trotz seines Beharrens am Platze darauf beruht, daß er weithin Segen spendet. So zeigt sich hier das Feld des Charakters, auf dem er seine Wirkung ausüben kann. Es zeigt den tiefen Einfluß, der von einer reichen, spendenden Persönlichkeit ausgeht, der darum nicht geringer ist, weil das Spendende sich in der Stille hält. Es zeigt, was das Rechte ist, und ermöglicht so, es auszuwirken.
  9. Sun, das Sanfte, das Eindringen, Nr. 57. Das Zeichen gibt die richtige Geschmeidigkeit des Charakters. Nicht Starrheit, die nach einmal festgelegten Prinzipien handelt und in Wirklichkeit nur Pedanterie ist, sondern Beweglichkeit ist nötig, daß man die Dinge wägt und in die Bedürfnisse der Zeit eindringt, ohne sich zu exponieren, und dann es lernt, die Umstände zu berücksichtigen und bei aller weisen Mannigfaltigkeit die starke Einheit des Wesens zu wahren.

Kapitel VIII: Über den Gebrauch des Buchs der Wandlungen
Die Linien

§1. Die Wandlungen sind ein Buch,
Dem man nicht ferne bleiben darf.
Sein SINN ist stets wechselnd,
Veränderung, Bewegung ohne Rast,
Durchfließend die sechs leeren Plätze;
Sie steigen auf und fallen ohn′ Verharren,
Die Festen und die Weichen wandeln sich.
Man kann sie nicht in eine Regel schließen;
Nur Änderung ist es, was hier wirkt.
§2. Sie gehen aus und ein nach festen Maßen.
Ob außen oder innen, lehren Vorsicht sie.
§3. Auch zeigen sie Sorge und Leid und ihre Gründe.

+[Hast du auch keinen Lehrer, doch nahe ihnen wie den Eltern.+]

§4. Erst nimm die Worte vor,
Besinn dich, was sie meinen,
Dann zeigen sich die festen Regeln.
Doch bist du nicht der rechte Mann,
Dann äußert sich der Sinn dir nicht.

In halb rhythmischer, halb gereimter Prosa wird hier eine Mahnung gegeben, das Buch der Wandlungen fleißig zu studieren. Es wird rühmend hervorgehoben, wie dauernder Wechsel die Regel des Buchs ist. Zum Schluß wird darauf hingewiesen, daß eine innere Fähigkeit notwendig sei, das Buch zu verstehen, sonst bleibe es verschlossen wie mit sieben Siegeln. Wenn der das Orakel Befragende nicht in Kontakt mit dem SINN ist, so bekommt er keine sinnvolle Antwort, die ja doch nur vergeblich wäre.

Kapitel IX: Die Linien (Fortsetzung)

§1. Die Wandlungen sind ein Buch, dessen Zeichen im ersten Strich ihren Anfang nehmen und im letzten zusammengefaßt werden. Die Striche sind das eigentliche Material. Die sechs Linien sind gemischt entsprechend der Bedeutung, die ihnen zur Zeit zukommt.

Es wird hier das Verhältnis der Linien zum Gesamtzeichen besprochen. Die ZeiChen bauen sich aus den einzelnen Linien als ihrem Material von unten nach oben auf. Die einzelnen Linien haben innerhalb dieses Zusammenhangs die Bedeutung, die ihnen durch die jeweilige Situation zukommt.

§2. Der Anfangsstrich ist schwer zu erkennen. Der obere Strich ist leicht zu erkennen. Denn sie stehen im Verhältnis von Grund und Folge. Das Urteil zum ersten ist erwägend; beim letzten ist dann alles zu seiner Vollendung gekommen.

Hier werden zunächst der Anfangs- und der obere Strich in ihrem gegenseitigen Verhältnis gezeichnet. Beide stehen sozusagen außerhalb des eigentlichen Zeichens und der Kernzeichen. Im einen beginnt die Handlung erst sich zu entfalten, im andern schließt sie ab.

§3. Wenn man aber die mannigfaltig abgestuften Dinge und ihre Art erforschen will und Recht und Unrecht unterscheiden, so geht das nicht vollständig ohne die mittleren Striche.

Die mannigfaltig abgestuften Dinge ergeben sich aus den mannigfaltig abgestuften Plätzen. Ihre Art ist ihr fester oder weicher Charakter. Recht und Unrecht unterscheiden sich daraus, ob die Linien dem Zeitsinn entsprechend auf den ihnen gebührenden Plätzen stehen oder nicht.

§4. Ja, auch das Wichtigste über Bestehen und Untergehen, Heil und Unheil kann man mit der Zeit erkennen. Der Wissende betrachtet das Urteil der Entscheidung, so kann er sich das Meiste denken.

Im Kommentar zur Entscheidung sind immer die Herren der Zeichen angegeben. Indem man sich daran die weiteren Beziehungen der Linien zu diesen Herren des Zeichens überlegt, kann man sich schon einen ungefähren Überschlag über ihre Stellung und Bedeutung im Gesamtzeichen machen.

§5. Der zweite und vierte Platz stimmen in ihrer Arbeit überein, aber unterscheiden sich durch ihre Plätze. In Beziehung auf die Güte stimmen sie nicht überein. Der zweite wird meist gelobt, der vierte meist gewarnt, weil er in der Nähe des Herrn steht. Der Sinn des Weichen ist es freilich, daß es nicht fördernd für dasselbe ist, fern zu sein. Die Hauptsache ist aber, ohne Makel zu bleiben; seine Äußerung ist es, weich und zentral zu sein.

Der fünfte Platz ist der Platz des Herrschers. Der zweite und vierte Platz sind die Plätze der Beamten: Der zweite, der zum fünften im Verhältnis des Entsprechens steht (beide sind der zentrale Platz im inneren, bzw. äußeren Zeichen), ist der Beamte, der fern vom Hofe im Lande draußen an der Arbeit ist. Der vierte Platz ist der Platz des Ministers. Darum sind die beiden Plätze - beides dunkle, d. h. abhängige - trotz Übereinstimmung in der Arbeit nicht gleich an Güte. Der zweite hat meist ein günstiges Urteil, der vierte meist ein warnendes: weil er zu nahe beim Fürsten ist, muß er doppelt vorsichtig sein. Nun liegt es eigentlich in der Art des Weichen, daß es nicht fördernd für dasselbe ist, wenn es fern vom Festen ist. Man sollte daher denken, der zweite Platz sei weniger günstig. Allein für ihn kommt in Betracht, daß er zentral gelegen ist, daher ohne Makel bleibt.

§6. Der dritte und fünfte Platz stimmen in ihrer Arbeit überein, aber unterscheiden sich durch ihre Plätze. Der dritte hat meist Unheil, der fünfte meist Verdienst, weil sie durch ihren Rang abgestuft sind. Der schwächere ist gefährdet, der stärkere hat den Sieg.

Der fünfte Platz ist der Platz des Herrschers, der dritte als oberster des inneren Zeichens hat wenigstens eine beschränkte Macht. Aber er ist nicht zentral, an einer unsicheren Stelle, an der Grenze zweier Zeichen. Darin, sowie in seinem niederen Rang liegen Momente der Schwäche, die den Platz in den meisten Lagen als gefährdet erscheinen lassen. Der fünfte Platz ist zentral, der Herrscher des Ganzen, auf starkem Platz: das alles sind Momente der Stärke, die den Sieg verheißen.

Kapitel X: Die Linien (Fortsetzung)

§1. Die Wandlungen sind ein Buch, weit und groß, in dem alles vollständig enthalten ist. Es ist der SINN des Himmels darin, der SINN der Erde darin, der SINN des Menschen darin. Es faßt diese drei Grundmächte zusammen und verdoppelt sie, darum sind sechs Striche da. Die sechs Striche sind nichts anderes als die Wege (SINN) der drei Grundmächte.
§2. Der Weg hat Veränderungen und Bewegungen. Darum heißen sie die veränderlichen Striche. Diese Striche haben Stufen, darum stellen sie die Dinge dar. Die Dinge sind mannigfaltig, daraus ergeben sich Linienzüge. Diese Linienzüge sind nicht immer entsprechend. Daraus entstehen Heil und Unheil.

Es werden hier die Plätze nach den drei Grundmächten verteilt. Der Anfangs- und der zweite Strich sind die Plätze der Erde, der dritte und der vierte die des Menschen, der fünfte und der obere die des Himmels. Gleich bei dem Zeichen "das Schöpferische" kommt diese Einteilung in Betracht. Es wird hier dann aus der Platzgemäßheit der Striche der verschiedenen Stufen auf Heil oder Unheil ihrer Bedeutung geschlossen. Der chinesische Ausdruck "Hiau" für Strich kann, anders geschrieben, auch nachahmen heißen. Darum heißen sie hier die "Veränderlichen", nämlich die nach dem Vorbild des SINNES sich Richtenden. Das Schriftzeichen für Hiau sind ~ zwei gekreuzte Linienpaare, die eben die Kreuzung zwischen Yang und Yin andeuten.

KAPITEL XI: Wert der Vorsicht als Lehre des Buchs der Wandlungen

Die Zeit, da die Wandlungen aufkamen, war die, als das Haus Yin zu Ende kam, als die Art des Hauses Dschou im Steigen war, also die Zeit, da König Wen und der Tyrann Dschou-Sin miteinander zu tun hatten.
Darum sind die Urteile des Buchs so häufig vor Gefahr warnend. Wer sich der Gefahr bewußt ist, der schafft sich Friede; wer es leicht nimmt, der schafft sich Umsturz. Der SINN dieses Buchs ist groß. Keines der hundert Dinge läßt er aus. Er ist besorgt um Anfang und Ende, und befaßt ist er in dem Wort "ohne Makel". Das ist der SINN der Wandlungen.

Der König Wen, der Ahn der Dschoudynastie, wurde von dem letzten Herrn der Yindynastie, dem Tyrannen Dschou-Sin, gefangen gehalten. In dieser Gefangenschaft soll er die Urteile zu den einzelnen Zeichen verfaßt haben. Die Gefahr seiner Lage bedingte es, daß diese Urteile alle von der Vorsicht ausgehen, die darauf bedacht ist, ohne Makel zu sein, und dadurch den Erfolg erreicht.

Kapitel XII: Zusammenfassung

§1. Das Schöpferische ist das Allerstärkste in der Welt. Die Äußerung seiner Art ist dauernd das Leichte, um so das Gefährliche zu beherrschen. Das Empfangende ist das Allerhingebendste in der Welt. Die Äußerung seiner Art ist dauernd einfach, um so das Hindernde zu beherrschen.

Die beiden Grundprinzipien des Buchs der Wandlungen "das Schöpferische" und "das Empfangende" werden hier noch einmal in ihrer Art dargestellt. Das Schöpferische als das Starke, dem alles leicht fällt, das sich aber der Gefahr, die darin liegt, von oben nach unten zu wirken, bewußt bleibt und dadurch die Gefahr beherrscht. Das Empfangende als das Hingebende, das darum ganz einfach handelt, das sich aber der Hindernisse bewußt ist, die darin liegen, von unten nach oben zu wirken, und dadurch diese Hindernisse beherrscht.

§2. Heiterkeit im Herzen wahren können und dabei dennoch besorgt sein in Gedanken: so vermag man Heil und Unheil auf Erden zu bestimmen und alles Schwierige auf Erden zu vollenden.

Im Text stehen bei "besorgt sein in Gedanken" noch zwei Zeichen, die Dschu Hi mit Recht als spätere Zusätze beseitigt hat. Heiterkeit im Herzen ist die Art des Schöpferischen. Sorgen in Gedanken ist die Art des Empfangenden. Durch die Heiterkeit gewinnt man den Überblick über Heil und Unheil, durch das Sorgen die Möglichkeit der Vollendung.

§3. Darum: Die Veränderungen und Umgestaltungen beziehen sich auf das Handeln. Heilvolle Taten haben gute Vorbedeutungen. Darum dienen die Bilder dazu, die Dinge zu erkennen, und das Orakel dient dazu, die Zukunft zu erkennen.

Die Veränderungen beziehen sich aufs Handeln. Darum sind die Bilder des Buchs der Wandlungen geeignet, danach zu handeln und die Wirklichkeit zu kennen (vgl. auch [[#k22kultur|Kapitel II über die Kulturgeschichte]], wo die Erfindungen von den Bildern abgeleitet werden). Die Ereignisse haben ihre Richtung auf Heil und Unheil zu, die sich in Vorzeichen ausdrücken. Indem das Buch der Wandlungen diese Vorzeichen deutet, wird die Zukunft klar.

§4. Himmel und Erde bestimmen die Plätze. Die Heiligen und Weisen vollenden deren Möglichkeiten. Durch Menschengedanken und Geistergedanken werden dem Volk diese Möglichkeiten zuteil.

Himmel und Erde bestimmen die Plätze und damit die Möglichkeiten. Die Heiligen verwirklichen diese Möglichkeiten, und indem im Buch der Wandlungen die Gedanken der Menschen und der Geister zusammenwirken, gibt es die Möglichkeit, auch dem Volk die Segnungen der Kultur zuteil werden zu lassen.

§5. Die acht Zeichen deuten durch ihre Bilder an, die Worte zu den Strichen und die Entscheidungen reden nach den Umständen. Indem Fest und Weich durcheinander stehen, läßt Heil und Unheil sich ersehen.
§6. Veränderungen und Bewegungen werden nach der Förderung beurteilt (die sie bringen). Heil und Unheil verändern sich je nach den Verhältnissen. Darum: Liebe und Haß bekämpfen einander, und Heil und Unheil entstehen daraus. Fernes und Nahes beeinträchtigen einander, und Reue und Beschämung entstehen daraus. Wahres und Falsches beeinflussen einander, und Nutzen und Schaden entstehen daraus. Bei allen Verhältnissen des Buchs der Wandlungen ist es so, daß, wenn zueinander in naher Beziehung Stehendes nicht miteinander stimmt, Unheil die Folge ist, aus der Schädigung entsteht, Reue und Beschämung.

Die nahen Beziehungen sind die in Beziehung des Entsprechens und Zusammenhaltens stehenden Striche. Je nachdem sie einander anziehen oder abstoßen, folgt Heil oder Unheil mit allen F1bstufungen daraus.

§7. Wer Aufruhr plant, dessen Worte sind beschämt. Wer im innersten Herzen Zweifel hegt, dessen Worte sind verzweigt. Heilvoller Menschen Worte sind sparsam. Aufgeregte Menschen machen viele Worte. Verleumder der Guten machen in ihren Worten Umschweife. Wer seinen Standpunkt verloren hat, dessen Worte sind verdreht.

Hier wird noch ein Überblick gegeben über die Wirkung der seelischen Zustände auf die Äußerung in Worten. Es zeigt sich daraus, daß die Verfasser des Buchs der Wandlungen, deren Worte so sparsam sind, zu den heilvollen Menschen gehören.

Die Struktur der Zeichen

1. Allgemeines

Aus dem Bisherigen ergibt sich zum größten Teil das zum Verständnis der Zeichen Nötige. Es soll hier jedoch noch ein Überblick gegeben werden über das, was zur Struktur der Zeichen gehört, damit man sich darüber klar zu werden vermag, warum die Zeichen nun gerade diese Bedeutung haben, die sie haben, warum die Linien den oft phantastisch anmutenden Text haben, der ihnen beigeschrieben ist und der in allegorischer Weise ausdrückt, welche Stellung sie im Ganzen der Situation des Gesamtzeichens haben und inwieweit sie daher Glück oder Unglück bedeuten.

Dieser Unterbau der Erklärung ist von den chinesischen Kommentatoren sehr weit getrieben worden. Namentlich seit im Lauf der Han-Zeit die Zaubergeheimnisse der fünf Wandelzustände mit dem Buch der Wandlungen verknüpft wurden, hat sich immer mehr Geheimnis und schließlich auch immer mehr - Hokuspokus an das Buch angeschlossen, dem das Buch den Ruf seiner Tiefe und Unverständlichkeit verdankt. Wir glauben mit diesem ganzen Geranke den Leser verschonen zu dürfen und haben nur das gegeben, was sich aus dem Text und den ältesten Kommentaren als zugehörig erweist.

Selbstverständlich hat ein Buch wie das Buch der Wandlungen stets einen irrationalen Rest. Warum im Einzelfall diese Seite hervorgehoben wird und nicht eine andre, die an sich ebenso möglich wäre, darüber läßt sich ebenso wenig Rechenschaft geben, wie darüber, warum die Ochsen Hörner haben und nicht statt dessen obere Vorderzähne wie die Pferde. Was möglich ist, das ist nur der Nachweis der Zusammenhänge innerhalb des durch Setzung Gegebenen; um im Gleichnis zu bleiben, käme es der Erklärung gleich, inwiefern das Wachsen von Hörnern und Fehlen der oberen Vorderzähne in organischer Verbindung steht.

2. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

Wie schon oben nachgewiesen, sind die vorliegenden sechsstrichigen Zeichen dauernd als aus zwei Urzeichen zusammengesetzt zu denken - nicht etwa aus sechs einzelnen Linien. Diese Urzeichen kommen nun für die Deutung in Betracht nach den verschiedenen Seiten ihres Wesens:

Einmal nach ihren Eigenschaften, dann nach ihren Bildern, dann nach ihrer Stellung im Familienzusammenhang (wobei durchgängig nur der des späteren Himmels in Betracht kommt).

Kiän.das Schöpferische,iststark, ist der Himmel,derVater.
Kun,das Empfangende,isthingebend, ist die Erde,dieMutter.
Dschen,das Erregende,istBewegung, ist der Donnerderälteste
   oder das Holz, Sohn.
Kau,das Abgründige,istGefahr, ist Wasser oderdermittlere
   Wolken, Sohn.
Gen,das Stille halten,istInnehalten, ist der Berg,derjüngste
     Sohn.
Sun,das Sanfte,istEindringen, ist der Winddieälteste
   oder das Holz, Tochter.
Li,das Haftende,istleuchtend oder bedingt,Diemittlere
  istdie Sonne oder der Blitz, Tochter.
   das Feuer,  
Dut,das Heitere,istFreude, ist der See,diejüngste
     Tochter.

Diese allgemeinen Bedeutungen müssen, namentlich wo es sich um die Erklärung der einzelnen Linien handelt, ergänzt werden durch die zunächst überflüssig erscheinenden Aufzählungen in der Besprechung der Zeichen (Kapitel III).

Dabei kommt dann weiterhin die Stellung der Zeichen zueinander in Betracht. Das untere Zeichen ist unten, innen, hinten, das obere ist oben, auBen, vorn. Die betonten Striche im oberen Zeichen werden immer als "gehend", die betonten Striche des unteren Zeichens als "kommend" bezeichnet.

Aus diesen Bezeichnungen, die sich schon im Kommentar zur Entscheidung finden, wurde dann später ein System der Verwandlung der Zeichen ineinander konstruiert, das viele Verwirrung angerichtet hat. Da es nicht irgendwie für die Erklärung von Notwendigkeit ist, wurde hier vollkommen davon abgesehen. Ebenso wurde kein Gebrauch gemacht von den "lauernden" Zeichen, daß nämlich jedem Zeichen sein Gegensatz im Geheimen mit zugrunde liegt, also dem Zeichen Kiän das Zeichen Kun, dem Zeichen Dschen das Zeichen Sun usw.

Dagegen ist ganz entschieden Gebrauch zu machen von den sogenannten Kernzeichen "Hu Gua". Diese Kernzeichen bilden die mittleren vier Striche jedes Zeichens und greifen selbst wieder mit ihren beiden mittleren Strichen übereinander. Ein paar Beispiele machen das ohne weiteres klar.

Das Zeichen Li, das Haftende Nr. 30 hat als Kernzeichenkomplex die vier Striche , die beiden Kernzeichen sind: oben Dui, das Heitere , unten Sun, das Sanfte . Das Zeichen Dschung Fu, Innere Wahrheit, Nr. 61 hat als Kernzeichenkomplex die vier Striche , die beiden Kernzeichen sind: oben Gen, das Stillehalten , unten Dschen, das Erregende

.

Die Struktur der Zeichen ergibt daher ein stufenweises übereinandergreifen verschiedener Zeichen und ihrer Einflüsse .

Die Anfangs- und die obere Linie gehören demnach zu einem Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichen). Die zweite und die fünfte Linie gehören zu zwei Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichen und dem unteren bzw. oberen Kernzeichen). Die dritte und die vierte Linie gehören zu drei Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichen und beiden Kernzeichen). So ergibt sich für die erste und die oberste Linie ein gewisses Herausfallen aus dem Zusammenhang, für die zweite und die fünfte ein (meist günstiger) Gleichgewichtszustand, für die beiden mittleren Linien eine übereinandergreifende Bestimmung, die nur in besonders günstigen Fällen das Gleichgewicht nicht stört. Diese Verhältnisse stimmen mit der Wertung der Linien in den Urteilen vollkommen überein.

3. Die Zeit

Die Gesamtsituation, die durch ein Zeichen zum Ausdruck kommt, heißt die Zeit. Dieser Ausdruck umfaßt je nach dem Charakter der verschiedenen Zeichen durchaus verschiedene Bedeutungen. Bei Zeichen, deren Gesamtsituation ein Bewegungsvorgang ist, heißt die Zeit das durch diese Bewegung veranlaßte Abnehmen oder Wachsen, Vollsein oder Leersein. Zeichen dieser Rrt sind z. B. Nr. 11, Tai, der Friede, Nr. 12, Pi, die Stockung, Nr.23, Bo, die Zersplitterung, Nr. 24, Fu, die Wiederkehr.

Ebenso heißt die Zeit die Handlung, der Vorgang, der für ein Zeichen charakteristisch ist, wie z. B. in Nr. 6, Sung, der Streit, Nr.7, Schi, das Heer, Nr. 21, Sch! Ho, das Durchbeißen, Nr. 27, I, die Ernährung.

Ferner bedeutet die Zeit das Gesetz, das durch ein Zeichen zum Ausdruck gebracht wird, z. B. Nr. 10, Lü, das Ruftreten, Nr. 15, Kiän, die Bescheidenheit, Nr. 31, Hiän, die Einwirkung, Nr. 32, Hong, die Dauer.

Endlich kann die Zeit auch den bildlichen Zustand bedeuten, der durch ein Zeichen dargestellt wird, z. B. Nr. 48, Dsing, der Brunnen, Nr. 50, Ding, der Tiegel.

In allen Fällen ist die Zeit eines Zeichens bestimmend für den Sinn der Gesamtsituation, von dem aus die verschiedenen Einzellinien ihre Bedeutung erhalten. Je nach der Zeit kann ein und dieselbe Linie - etwa sechs auf drittem Platz - das eine Mal günstig, das andere Mal ungünstig sein.

4. Die Plätze

Die verschiedenen Plätze der Striche werden nach ihrer Höhe in vornehme und geringe eingeteilt. Dabei bleiben in der Regel der unterste und der oberste auBer Betracht, während die vier mittleren innerhalb der Zeit sich betätigen. Davon ist der fünfte Platz der Platz des Herrschers, der vierte der des Ministers in der Nähe des Herrschers, der dritte, als oberster Platz des unteren Zeichens, hat eine Rrt übergangsstellung ; der zweite ist der Beamte im Lande, der jedoch mit dem Fürsten auf fünftem Platz in direkter Verbindung steht. Ebenso kann unter Umständen der vierte Platz die Frau des fünften vorstellen und der zweite den Sohn. Unter Umständen kann auch der zweite Platz die Frau sein, die im Innern waltet, während der Mann auf fünftem Platz im Außern tätig ist. Kurz, die Funktionen sind stets analog, wenn auch die Bezeichnungen wechseln.

Der unterste und der oberste Platz kommen vom Standpunkt der Zeit des Zeichens in der Regel als Rnfang oder Ende in Betracht, unter Umständen ist der erste Strich auch einer, der anfängt, sich im Zeitsinn zu betätigen, ohne schon in das Feld eingetreten zu sein, während der oberste jemand bedeutet, der sich schon aus den Geschäften der Zeit zurückgezogen hat. Doch kommt es auf die durch das Zeichen dargestellte Zeit an, ob unter Umständen gerade diese Plätze eine repräsentative Tätigkeit haben, so z. B. der erste Platz in dem Zeichen Nr. 3, Dschun, die Anfangsschwierigkeit, Nr. 14, Da Yu, Besitz von Großem, Nr. 20, Guan, die Betrachtung, Nr. 26, Da Tschu, des GroBen Zähmungskraft, Nr. 42, I, die Mehrung. In allen diesen Fällen sind die betreffenden Striche Herren des Zeichens. Auf der andern Seite kommt es auch vor, daß der fünfte Platz nicht der Platz des Herrschers ist, wenn nämlich der ganzen Situation des Zeichens entsprechend kein Herrscher vorkommt.

5. Der Charakter der Striche

Der Charakter der Striche wird bezeichnet als fest oder weich, als zentral, als korrekt, oder nicht zentral und nicht korrekt. Fest (oder hart) sind die ungeteilten, weich (oder schwach) sind die geteilten Linien. Zentral sind die beiden mittleren Linien der Urzeichen, also die zweite und fünfte, unabhängig von ihrer sonstigen Qualität. Korrekt ist eine Linie, die auf dem ihr gebührenden Platz steht, also eine feste Linie auf erstem, drittem, fünftem Platz, eine weiche Linie auf zweitem, viertem, sechstem Platz. Feste und weiche Linien können beide günstig oder ungünstig sein, je nach den Zeiterfordernissen des Zeichens. Wenn die Zeit Festigkeit verlangt, sind die festen Striche günstig, wenn die Zeit Weichheit verlangt, die weichen. Das geht sogar so weit, daß gar nicht immer Korrektheit ein Vorzug ist. Wenn die Zeit Weichheit vorschreibt, ist ein fester Strich auf drittem Platz, obwohl an sich korrekt, vom übel, weil er zu viele Festigkeit zeigt, während umgekehrt eine weiche Linie an drittem Platz günstig sein kann, weil sie durch Weichheit des Wesens die Härte des Platzes ausgleicht. Nur die zentrale Stellung ist in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle günstig, sowohl wenn sie mit Korrektheit verbunden ist als auch sonst. Insbesondere kann ein weicher Herrscher eine sehr günstige Position haben, besonders dann, wenn ihm ein starker, fester Beamter auf zweitem Platze entspricht.

6. Die Beziehungen der Striche untereinander

a) Entsprechen

Die entsprechenden Striche des unteren und des oberen Zeichens stehen zuweilen in besonders naher Beziehung zueinander, der Beziehung des Entsprechens. Es sind das folgende Verhältnisse: erster Strich zum vierten, zweiter zum fünften, dritter zum obersten. Voraussetzung ist dabei, daß die Striche verschiedener Natur sind. Es stehen also in der Beziehung des Entsprechens in der Regel nur weiche zu festen oder feste zu weichen Strichen. Von den entsprechenden Strichen sind die wichtigsten die beiden zentralen Striche auf zweitem und fünftem Platz, die in der korrekten Beziehung des Herrschers zum Beamten, des Vaters zum Sohn, des Mannes zur Frau usw. stehen. Und zwar kann dabei entweder ein starker Beamter einem weichen Herrscher oder ein weicher Beamter einem starken Herrscher entsprechen. Das erstere ist der Fall bei 16 Zeichen, bei denen es sämtlich günstig wirkt; nämlich durchaus günstig bei den Zeichen Nr. 4, 7, 11, 14, 18, 19, 32, 34, 38, 40, 41, 46, 50; weniger günstig, was aber durch die Zeit erklärt ist, bei Nr. 26, 54, 64. Das Entsprechen zwischen weichem Beamten und starkem Herrn ist lange nicht so günstig. Ungünstig wirkt es bei Nr. 12, 13, 17, 20, 31. Schwierigkeiten, die sich aber aus der Zeit erklären, so daß die Beziehung doch als korrekt bezeichnet werden kann, kommen vor bei Nr. 3, 33, 39, 63. Günstig wirkt die Beziehung bei Nr. 8, 25, 37, 42, 45, 49, 53. Entsprechen von erster und vierter Linie kommt auch gelegentlich vor, wobei es günstig ist, wenn eine weiche Linie auf viertem Platz in Beziehung des Entsprechens zu einer starken Anfangslinie ist, weil dann der Sinn ist, daß ein gehorsamer Beamter im Namen seines Herrn nach starken, tüchtigen Gehilfen sucht, vgl. Nr. 3, 22, 25, 27, 41. Dagegen bedeutet ein Entsprechen von einem starken vierten Strich zu einem weichen Anfangsstrich eher eine zu vermeidende Versuchung zu Intimität mit gemeinen Menschen, vgl. Nr. 28, 40, 50. Eine Beziehung von drittem und oberstem Strich kommt kaum vor, höchstens als Versuchung; denn durch die Verwicklung mit den Weltgeschäften verlöre der hohe, von der Welt abgewandte Weise seine Reinheit und der Beamte an drittem Platz, wenn er seinen Herrscher auf fünftem Platz überginge, seine Treue.

Im Fall, daß ein Strich Herr des Zeichens ist, kommen selbstverständlich Beziehungen des Entsprechens unabhängig von diesen Erwägungen vor, deren Heil oder Unheil sich aus dem Zeitsinn des Gesamtzeichens ergibt.

b) Zusammenhalten

Zwischen zwei benachbarten Strichen verschiedenen Charakters kann die Beziehung des Zusammenhaltens stattfinden, die von seiten des unteren auch als "Empfangen", von seiten des oberen als "Beruhen" bezeichnet wird. Für die Beziehung des Zusammenhaltens kommt in erster Linie der vierte und fünfte Strich (Minister und Herrscher) in Betracht. Und zwar ist umgekehrt zu der Beziehung zwischen zweiter und fünfter Linie hier das Günstigere, wenn ein weicher Minister mit einem starken Herrscher zusammenhält, denn bei der größeren Nähe ist Ehrfurcht von Wert. So ist denn in 16 Zeichen, in denen ein solches Zusammenhalten vorkommt, dasselbe stets mehr oder weniger heilbringend, nämlich sehr gut in Nr. 8, 9, 20, 29, 37, 42, 48, 53, 57, 59, 60, 61, etwas weniger, aber doch nicht ungünstig in Nr. 3, 5, 59, 63. Dagegen ist ein Zusammenhalten eines starken, d.h. inkorrekten Strichs auf viertem Platz mit einem schwachen Herrn meist ungünstig, so in Nr. 30, 32, 35, 50, 51, etwas weniger ungünstig in Nr. 14, 38, 40, 54, 56, 62. Günstig ist es dagegen in folgenden Zeichen, in denen die starke vierte Linie Herr des Zeichens ist: Nr. 16, 21, 3l1, 55 (Herr des oberen Zeichens), 64.

Außerdem kommt Zusammenhalten auch noch vor zwischen dem fünften und dem obersten Strich. Es stellt dann den Herrscher dar, der sich dem Weisen unterstellt; in diesem Fall ist es meist der demütige Herrscher (schwacher Strich auf fünftem Platz), der den starken Weisen (starker Strich oben) ehrt, so in den Zeichen Nr. 14, 26, 27, 50. Das ist natürlich sehr günstig. Wenn dagegen auf fünftem Platz ein starker Strich steht und oben ein schwacher, so deutet das eher auf das sich Abgeben mit minderwertigen Elementen und ist unerwünscht, so Nr. 28, 31, 43, 58. Nur das Zeichen Nr. 17, Sui, die Nachfolge, macht hierin eine Ausnahme, weil der Gesamtsinn des Zeichens ein Heruntergehen des Starken unter das Schwache zur Voraussetzung hat.

Die übrigen Striche: 1 und 2, 2 und 3, 3 und 4 stehen nicht im korrekten Verhältnis des Zusammenhaltens. Wo es vorkommt, bedeutet es immer die Gefahr von Parteiungen und ist zu vermeiden. Für einen schwachen Strich ist das Beruhen auf einem Harten auch zuweilen ein Grund von Unannehmlichkeiten.

Wenn es sich um Striche handelt, die Herren des Zeichens sind, in dem sie stehen, so kommen die Beziehungen des Entsprechens und Zusammenhaltens auch in Betracht, wenn es sich um irgendwelche Plätze handelt. Außer den oben erwähnten Fällen seien als Beispiele noch genannt: Nr. 16, YÜ, die Begeisterung. Der vierte Strich ist der Herr des Zeichens, der Anfangsstrich entspricht ihm, der dritte Strich hält mit ihm zusammen. Nr. 23, Bo, die Zersplitterung. Der obere Strich ist der Herr, der dritte entspricht ihm, und der fünfte hält mit ihm zusammen. Beides ist gut. Nr. 24, Fu, die Wiederkehr. Der Anfangsstrich ist Herr, der zweite ist mit ihm verbunden, der vierte entspricht ihm. Beides ist günstig. Nr. 43, Guai, der Durchbruch, die Entschlossenheit. Der obere Strich ist Herr, der dritte entspricht ihm, der fünfte hält mit ihm zusammen. Nr. 44, Gou, das Entgegenkommen. Der Anfangsstrich ist Herr, der zweite hält mit ihm zusammen, der vierte entspricht ihm. Es handelt sich hier um Heil oder Unheil, je nach der Richtung, in die der Sinn des Zeichens weist.

7. Die Herren des Zeichens

Man unterscheidet zwei Arten von Herren des Zeichens: die konstituierenden und die beherrschenden. Der konstituierende Herr des Zeichens ist ohne Rücksicht auf Höhe und Güte des Charakters derjenige Strich, der dem Zeichen den charakteristischen Sinn gibt, wie z. B. der oberste, schwache Strich in Nr. 43, Guai, die Entschlossenheit. Denn das Zeichen konstituiert sich aus dem Gedanken, diesen Strich entschlossen hinauszuwerfen.

Die beherrschenden Herren sind stets gut von Charakter und werden durch den Zeitsinn und ihre Stellung zu Herren. Meist sind sie auf fünftem Platz. Aber es kommen gelegentlich auch andere Striche vor.

Wenn der konstituierende zugleich der beherrschende Herr ist, so ist er sicher gut und auf zeitgemäßem Platz. Wenn er nicht zugleich der beherrschende Herr ist, so ist es sicher ein Zeichen davon, daß sein Charakter und sein Platz mit den Erfordernissen der Zeit nicht übereinstimmen.

Die Herren der Zeichen können immer aus dem Kommentar zur Entscheidung entnommen werden. Wenn der konstituierende Herr zugleich der beherrschende ist, so hat das Zeichen einen Herrn, sonst zwei. Oft gibt es zwei Striche, die den Sinn des Zeichens konstituieren, wie z. B. in Nr. 33, Dun, der Rückzug, die beiden vordringenden schwachen Striche, die dann beide Herren sind, indem sie die vier starken Striche zurückdrängen; oder kommt das Zeichen aus dem Zusammenwirken der beiden Bilder der Urzeichen zusammen, dann sind die beiden charakteristischen Striche der beiden Zeichen die Herren.

Bei den einzelnen Zeichen wurde durchgehends der konstituierende Herr mit , der beherrschende Herr mit bezeichnet. Falls sie identisch sind, ist das Zeichen gewählt. Im dritten Buch ist außerdem bei jedem Zeichen der Herr ausführlich erklärt.

Über das Orakelnehmen

a) Das Schafgarbenorakel

Das Orakel wird befragt mit Hilfe von Schafgarbenstengeln. Zum Wahrsagen gehört die Zahl von 50 Stengeln. Davon wird einer beiseitegesteckt und kommt weiter nicht in Betracht. Die übrigen 49 Stengel werden zunächst in zwei Haufen geteilt. Darauf nimmt man vom Haufen rechts einen Stengel und steckt ihn zwischen Goldfinger und kleinen Finger der linken Hand. Darauf nimmt man den linken Haufen in die linke Hand und nimmt mit der rechten Bündel von je vier Stengeln weg, bis vier oder weniger Stengel übrigbleiben. Diesen Rest steckt man nun zwischen Gold- und Mittelfinger der linken Hand. Darauf wird in derselben Weise der rechte Haufen durch- gezählt und der Rest zwischen Mittel- und Zeigefinger der linken Hand gesteckt. Die Summe der zwischen den Fingern der linken Hand befindlichen Stengel ist nun entweder 9 oder 5 (die verschiedenen Möglichkeiten sind 1+4+4 oder 1+3+1 oder 1+2+2 oder 1+1+3; daraus ergibt sich, daß die Zahl 5 leichter zu erreichen ist als 9). Beim ersten Durchzählen der 49 Stengel bleibt der erste Stengel zwischen kleinem und Goldfinger als überzählig außer Berechnung. Man rechnet daher 9 = 8 und 5 = 4. Die Zahl Li bedeutet nun eine volle Einheit, der der Zahlenwert 3 zugemessen wird. Die Zahl 8 dagegen bedeutet eine Doppeleinheit und wird nur mit dem Zahlenwert 2 berechnet. Hat man also beim ersten Durchzählen 9 Stengel übrig, so zählen sie 2, hat man 5 übrig, so zählen sie 3. Diese werden zunächst beiseitegelegt.

Nun werden die beiden Haufen, die übrig sind, wieder zusammengenommen und aufs neue abgeteilt. Wieder nimmt man von der rechten Hälfte einen Stengel und steckt ihn zwischen kleinen und Goldfinger der linken Hand und verfährt dann mit dem Durchzählen wie zuvor. Diesmal bekommt man als Summe des Restes entweder 8 oder 4. (Nämlich

1+4+3 1+1+2
oder 1+3+4 oder 1+2+1
= 8 = 4

so daß diesmal die Chancen zwischen 8 und 4 dieselben sind.) 8 zählt 2 und 4 zählt drei.

Mit dem übriggebliebenen Haufen verfährt man darauf ein drittes Mal wie zuvor und erhält als Summe des Restes ebenfalls 8 oder 4. Nun wird aus dem Berechnungswert der drei Restsummen ein Strichelement aufgebaut.

Ist die Summe 5 (= 4, Wert 3) + 4 (Wert 3) + 4 (Wert 3), dann ergibt sich die Zahl 9, d. h. das sogenannte alte Yang. Das wird ein positives Strichelement, das sich bewegt, also für die Einzeldeutung in Betracht kommt. Es wird bezeichnet mit -e- oder O.

Ist die Summe 9 (= 8, Wert 2) + 8 (Wert 2) + 8 (Wert 2), so ergibt sich die Zahl 6, d. h. das sogenannte alte Yin. Das wird ein negatives Strichelement, das sich bewegt, also für die Einzeldeutung in Betracht kommt. Es wird bezeichnet mit -x- oder x.

Ist die Summe9 (2) + 8 (2) + 4 (3)\ 
 oder 5 (3) + 8 (2) + 8 (2) > = 7
 oder 9 (2) + 4 (3) + 8 (2)/ 

so ergibt sich die Zahl 7, d. h. das sogenannte junge Yang. Das wird ein positives Strichelement, das ruht, also für die Einzeldeutung nicht in Betracht kommt. Es wird bezeichnet mit ---.

Ist die Summe9 (2) + 4 (3) + 4 (3)\ 
 oder 5 (3) + 4 (3) + 8 (2) > = 8
 oder 5 (3) + 8 (2) + 4 (3)/ 

so ergibt sich die Zahl 8, d. h. das sogenannte junge Yin. Das wird ein negatives Strichelement, das ruht, also für die Einzeldeutung nicht in Betracht kommt. Es wird bezeichnet mit - -. Indem dieser Prozeß im ganzen sechsmal vorgenommen wird, baut sich ein sechsstufiges Zeichen auf. Wenn dieses Zeichen aus lauter ruhenden Strichelementen besteht, so kommt für das Orakel nur die Gesamtidee des Zeichens in Betracht, wie sie in dem "Urteil" des Königs Wen und dem ""Kommentar zur Entscheidung" des Kungtse zum Ausdruck kommt. Ferner noch das Bild des Zeichens und die dem Bild beigefügten Textworte.

Finden sich in dem so gewonnenen Zeichen ein oder mehrere bewegte Striche. so kommen außerdem die vom Herzog von Dschou diesem Strich beigefügten Worte in Betracht. Daher haben diese die Überschrift: 9 auf x-tem Platz oder 6 auf x-tem Platz.

Außerdem entsteht durch die Bewegung, d. h. Wandlung[12] der Striche ein neues Zeichen, das mit seinem Sinn ebenfalls in Betracht zu ziehen ist.

Wenn z. B. das Zeichen gezogen wird, dessen vierter Strich sich bewegt , so wird außer dem Text und Bild dieses Zeichens im Ganzen der dem vierten Strich beigegebene Text in Betracht kommen und dann noch außerdem der Text und das Bild des Zeichens ; und zwar wäre dann das Zeichen der Ausgangspunkt, von dem aus durch die Lage der 9 auf 4. Platz und den beigefügten Rat die Endsituation sich entwickelt. In dem zweiten Zeichen kommt der Text des bewegten Strichs nicht in Betracht.

b) Das Münzenorakel

Außer der Methode des Schafgarbenorakels ist auch eine abgekürzte Methode mit Münzen im Brauch, zu der in der Regel alte chinesische Bronzemünzen, die in der Mitte ein Loch haben und auf der einen Seite Schrift zeigen, verwandt werden. Man nimmt dabei drei Münzen, die gleichzeitig geworfen werden. Ein Wurf gibt eine Linie. Schrift gilt als Yin und zählt 2, die andere Seite gilt als Yang und zählt 5. Hieraus ergibt sich dann der Charakter der betreffenden Linie. Sind alle drei Münzen Yang, So ist es eine Neun, sind alle drei Münzen Yin, so ist es eine Sechs. Zwei Yin und ein Yang ergeben eine Sieben, zwei Yang und ein Yin ergeben eine Acht. Beim Aufsuchen der Zeichen im Buch der Wandlungen verfährt mam wie beim Schafgarbenorakel.

Es gibt noch eine andre Art des Münzorakels, wobei außer den I Ging Zeichen auch noch die fünf Wandelzustände, die zyklischen Zeichen usw. verwandt werden und die von chinesischen Wahrsagern angewandt wird. Diese Art benützt aber nicht den Text der Zeichen des I Ging. Es heißt, sie sei eine Fortsetzung des alten Schildkrötenorakels, das im Altertum neben dem Schafgarbenorakel gefragt wurde, das aber durch den I Ging, den Kungtse rationaler gestaltet hatte, allmählich verdrängt worden ist.


Anmerkungen


[1] James Legge in "The Sacred Books of China, the Texts of Confucianism Part II, the Yi King, Oxford 1882" macht viel Aufhebens davon, daß erst durch Abtrennung der Kommentare vom Text das eigentliche Verständnis des I Ging ermöglicht werde. Er sondert daher die alten Kommentare sorgfältig ab, gibt dann aber dem Text die Kommentare der Sung-Zeit bei. Warum die Sung-Zeit, die ein Jahrtausend später ist, dem ursprünglichen Text näher gestanden haben soll als Konfuzius, darüber hat sich Legge nicht geäußert. In Wirklichkeit folgt er mit peinlicher Genauigkeit der auch von uns benützten Rezension Dschou I Dschê Dschung aus der Kanghsi-Zeit. Legges Übersetzung steht hinter seinen übrigen sehr zurück. Er erspart sich z. B. einfach die Übersetzung der Namen der Zeichen, die freilich nicht ganz leicht, aber um so notwendiger ist. Auch sonst kommen entschiedene Mißverständnisse vor.


[2] Auch hier wird die Entstehung des Buchs der Wandlungen in das "Mittlere Altertum" verlegt, eine Zeiteinteilung, nach der die Epoche der Frühlings- und Herbst-Annalen, die mit Kungtse schließt, als "Jüngeres Altertum" geht. Daß diese Zeiteinteilung nicht von Kungtse selbst gebraucht sein kann, ist ohne weiteres klar.


[3] Das chinesische Jahr stimmt im wesentlichen mit dem Metonischen Jahr überein.


[5]Es sind hier Varianten zum Text des I Ging vorhanden, in denen das Schöpferische den Drachen, das Empfangende die Stute, das Haftende die Kuh hat.


[6]Im Text ist die Farbe des Empfangenden gelb, sein Tier die Stute.


[7]Hier ist ein Punkt. wo die Prinzipien des Schöpferischen und des Empfangenden mit den griechischen Prinzipien des Logos und Eros sich sehr nahe berühren.


[8] Zu beachten ist, daß selbst hier noch nicht die später so geläufigen Bezeichnungen Yin und Yang gewählt sind. Das läßt auf das Alter dieses Textes schließen.


[9] Der SINN, chinesisch Tao, ist dasjenige, was das Spiel dieser Kräfte in Bewegung bringt und unterhält. Weil dieses Etwas nur eine Richtung bedeutet, die unsichtbar und vollkommen unkörperlich ist, hat man im Chinesischen das Lehnwort Tao = Weg, Lauf dafür gewählt, der ja auch nichts in sich selber ist und doch alle Bewegungen regelt. über die Gründe der Übersetzung dieses Worts mit SINN vgl. die Einleitung zu meiner übersetzung des Laotse.


[10]Man sieht hier, wie die Anschauung des Buchs der Wandlungen auf das Organische eingestellt ist. Im Organischen gibt es keine Entropie.


[11] Hier ist wohl die Stelle, auf der die Lehre des Mongtse begründet ist, daß das Wesen des Menschen gut sei.


[12] Vgl. R. Wilhelm, Chinesische Lebensweisheit, Darmstadt, pag. 16ff.


[13] Durch Bewegung oder Wandlung entsteht aus einem starken ein schwacher und aus einem schwachen ein starker Strich.