Sei wachsam!

Reinhard Mey / Reinhard Mey: Leuchtfeuer (1996)

A4 Am A4 Am
Am
Ein Wahlplakat zerrissen auf dem nassen Rasen,
E
Sie grinsen mich an, die alten aufgeweichten Phrasen,
Dm
Die Gesichter von auf jugendlich gemachten Greisen,
E
Die dir das Mittelalter als den Fortschritt anpreisen.
Am
Und ich denk mir, jeder Schritt zu dem verheiß'nen Glück
F
Ist ein Schritt nach ewig gestern, ist ein Schritt zurück.
B7
Wie sie das Volk zu Besonnenheit und Opfern ermahnen,
E
Sie nennen es das Volk, aber sie meinen: Untertanen.
Am
All das Leimen, das Schleimen ist nicht länger zu ertragen,
F
Wenn du lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen!
Dm Am
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
B7 E E7
"Halt' Du sie dumm - ich halt' sie arm!"
Am E
Sei wachsam, präg dir die Worte ein! Sei wachsam, und fall' nicht auf sie rein!
Dm Am E E7
Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt, die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Am F
Sei wachsam, merk dir die Gesichter gut! Sei wachsam, bewahr dir deinen Mut!
Dm E7 Am
Sei wachsam - und sei auf der Hut!
 
Du machst das Fernsehen an, sie jammern nach guten, alten Werten. 
Ihre guten, alten Werte sind fast immer die verkehrten, 
Und die, die da so vorlaut in der Talk-Runde strampeln 
Sind es, die auf allen Werten mit Füßen rumtrampeln: 
Der Medienmogul und der Zeitungszar, 
Die schlimmsten Böcke als Gärtner, na wunderbar! 
Sie rufen nach dem Kruzifix, nach Brauchtum und nach guten Sitten, 
Doch ihre Botschaft sind nichts als Arsch und Titten. 
Verrohung, Verdummung, Gewalt sind die Gebote, 
Ihre Götter sind Auflage und Einschaltquote. 
Sie biegen die Wahreheit und verdrehen das Recht: 
So viel gute alte Werte, echt, da wird mir echt schlecht! 
Sei wachsam... 
 
Es ist 'ne Riesenkonjungtur für Rattenfänger, 
Für Trittbrettfahrer und Schmiergeldempfänger, 
'ne Zeit für Selbstbediener und Geschäftemacher, 
Scheinheiligkeit, Geheuchel und Postengeschacher. 
Und die sind alle hochgeachtet und sehr annerkannt, 
Und nach den Schlimmsten werden Plätze und Flugplätze benannt. 
Man packt den Hühnerdieb, den Waffenschieber läßt man laufen, 
Kein Pfeiffchen Gras, aber 'ne ganze Giftgasfabrik kannst Du kaufen. 
Verseuch die Luft, verstrahl das Land, mach ungestraft den größten Schaden, 
Nur laß Dich nicht erwischen bei Sitzblockaden! 
Man packt den Grünfried und das Umweltschwein genießt Vertrau'n. 
Und die Polizei muß immer auf die Falschen draufhau'n. 
Sei wachsam... 
 
Wir haben ein Grundgesetz, das soll den Rechtsstaat gerantiern. 
Was hilfts, wenn sie nach Lust und Laune d'ran manipulieren, 
Die Scharfmacher, die immer von der Friedensmission quasseln, 
Und unterm Tisch schon emsig mit dem Säbel rasseln? 
Der alte Glanz in ihren Augen beim großen Zapfenstreich, 
Abteilung kehrt, Im Gleichschritt marsch, ein Lied und Heim ins Reich! 
"Nie wieder soll von diesem Land Gewalt ausgehen!" 
"Wir müssen Flagge zeigen, dürfen nicht beiseite stehen!" 
"Rein humanitär natürlich und ganz ohne Blutvergießen!" 
"Kampfeinsätze sind jetzt nicht mehr so ganz auszuschließen. 
Sie ziehen uns immer tiefer rein, Stück für Stück. 
Und seit heute früh umn fünf Uhr schießen wir wieder zurück. 
Sei wachsam... 
 
Ich hab Sehnsucht nach Leuten, die mich nicht betrügen, 
Die mir nicht mit jeder Festrede die Hucke voll lügen, 
Und verschon' mich mit den falschen Ehrlichen, 
Die falschen Ehrlichen, die wahren Gefährlichen! 
Ich habe Sehnsucht nach einem Stück Wahrhaftigekeit, 
Nach 'nem bißchen Rückgrad in dieser verkrümmten Zeit. 
Doch sag die Wahrheit und Du hast bald nichts mehr zu Lachen, 
Sie wer'n Dich ruiniern, exekutier'n und mundtot machen, 
Erpressen, bestechen, versuchen Dich zu kaufen. 
Wenn Du die Wahrheit sagst, laß draußen den Motor laufen, 
Dann sag sie laut und schnell, denn das Sprichwort lehrt, 
Wer die Wahrheit sagt braucht ein verdammt schnelles Pferd! 
Sei wachsam... 
(und sei auf der Hut; Paß bloß auf!) 


Zurück zum Liederbuch